Fluch der 100 Pforten
Richtung losging, während Henry und Richard aus einer anderen zurückkehrten. Sie würden nicht merken, dass sie ihnen gefolgt war, und nichts würde sie hindern, die Kompass-Schlösser wieder umzustellen.
Auch wenn der Wandschrank, durch den sie gekommen war, höchstens zehn Meter entfernt lag, spürte sie, wie sich die Angst in ihr breitmachte. Einen Moment lang dachte sie daran, lieber zurückzugehen, ihre Schuhe abzustreifen und ins Bett zu kriechen. Sollten Henry und Richard doch sehen, wie sie fertig wurden! Aber dann hörte sie aus einem der großen Portale ein Krachen, dem Gelächter und Stimmen folgten.
Sie kamen zurück.
Henrietta fuhr herum, schlitterte zurück zum Schrank, drehte sich dann um, lehnte sich mit verschränkten Armen dagegen und wartete.
Niemand kam.
Wieder hörte sie das Lachen, aber es war kein bisschen näher gekommen. Wie lange brauchten die denn? Henrietta würde sich gar nicht wundern, wenn mittlerweile schon die ganze Familie in Panik geraten war, weil Anastasia festgestellt hatte, dass sie verschwunden waren.
Dicht an die Wand gedrängt, begann Henrietta sich nun in Richtung der Portale an den Wänden entlangzuschieben. Sie kam an Wandöffnungen vorbei, durch die man in Nischen und Korridore gelangte und zu eingestürzten Treppen, die immer
nur nach oben führten. Henrietta ließ ihre Finger über Schnitzereien gleiten, die so verrottet waren, dass sie unter ihren Fingern zerbröselten. An jeder Wandöffnung war sie drauf und dran anzuhalten, stehen zu bleiben und zu gucken. Aber sie warf nur einen Blick hindurch und ging dann weiter, zum großen Portal auf der anderen Seite des Saals und dem Echo der Stimmen entgegen.
Weil sie sich an der Wand entlangschob, brauchte sie ziemlich lang. Aber sie erreichte ihr Ziel, und ohne sich der Gefahr des einbrechenden Parketts in der Mitte auszusetzen.
Einen Moment lang lehnte sie sich an eine Säule. Sie ordnete ihre Gedanken und überlegte, was sie sagen wollte. Aber dann hörte sie Schritte, umsichtige, planmäßige Schritte, die durch das Portal näher kamen.
Jetzt hieß es finden oder gefunden werden. Am besten, sie schritt gleich zur Tat! Sie holte tief Luft, setzte ein Lächeln auf, stellte sich unter das Portal und verschränkte die Arme.
Zwei Männer, nicht viel größer als sie selbst, hoben ihren Blick vom Boden. Sie trugen beide kurze schwarze Bärte und hatten Montiereisen und Hämmer dabei. Wie angenagelt blieben sie stehen.
»Äh«, meinte Henrietta. Das Lächeln wollte ihr vergehen, aber sie zwang es zurück in ihr Gesicht. »Ich sehe mich nur ein bisschen um.«
Die Männer warfen sich einen Blick zu und nickten. Sie fassten ihre Hämmer fester. Dann kamen sie auf sie zu.
SIEBTES KAPITEL
H enry hörte Stimmen und wachte auf. Die eine erkannte er auf Anhieb wieder, die andere war neu. Und besser zu verstehen.
»Fange an!«, forderte Darius. »Mörsere das Elixier – wenn es beliebt!«
»Sir«, antwortete die andere Stimme. »Ihr wisst überhaupt nichts über ihn. Sofern irgendeine Form von Benennungsritual bereits vollzogen worden ist, ist ein Blutaustausch nicht mehr möglich. Es würde ihn umbringen. Es würde ihm den Hals zerreißen und die Eingeweide zerfetzen.«
»Endorisches Blut wallt unter seiner Haut, und er wird fortleben. Berührt die Verbrennungen auf seiner Facciata, wo der Tod tröpfelt. Der Doppelblick kam auf ihn mit Donnerschlagblitz, und noch ist er nicht Asche, noch wahnsinnig. Deine Kraft ist nichts als verpuffte Luft neben seinem Feuer. Zweiter wird er sein unter Letztgeborenen. Er wird mir sein ein siebter Sohn.«
»Andere Söhne habt ihr ja nicht«, sagte der Mann ruhig. »Und um zweiter unter uns zu werden, wäre eine Nominierung erforderlich und mindestens eine Zweidrittelmehrheit
beim Bankett der Mittsommergesellschaft – als Ausdruck der Unzufriedenheit mit meiner Leistung.«
»Dummkopf!«, rief Darius. »Dummkopf! Du bist kein wahrer Hexenhund! Nicht mehr als ein Quacksalber für Liebestränke. Du hast mein Blut. Beginne die Ritualita!«
Eine Tür schlug zu und Henry zuckte zusammen.
»Darius, der mächtige Hexenhund«, knurrte die Stimme des Mannes. »Darius, der siebte männliche Wechselbalg eines Dorfpriesters. Ich und nicht mehr als ein Quacksalber? Du bist ebenso ein Hexenhund wie der Schoßköter meiner Großtante!«
Henry taten die Schultern weh. Er hatte kein Hemd mehr an. Seine Arme standen waagerecht von seinem Körper ab und waren kurz davor einzuschlafen. Er versuchte
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