Fluch der 100 Pforten
Stelle, wo er ihn auf den Boden fallengelassen hatte, einen Schritt über den schnarchenden und fiependen Richard hinweg, und ging weiter bis zum Dachboden.
Als er vor der Fächerwand stand, pfiff er durch die Zähne. Zehn Jahre lang hatte er einmal suchen müssen, bis er drei Pforten wie diese hier gefunden und sie mit dem Leben anderer bezahlt hatte. Der Wert der vor ihm liegenden Fächer war unschätzbar. Und auf der ihnen gegenüberliegenden Seite erwartete ihn noch viel Größeres.
Dank der Kette von Befehlen, die er ausgegeben hatte, standen sämtliche Fächer weit offen und verströmten Chaos im Zimmer. Irgendwo gab es ein Pferd und hasserfülltes Elfenvolk, Blutvergießen und Mord und Krieg, salzige Meere, Steine, Altwerden, verrottende Bücher, Wüstenhitze und einen eigentümlichen südlichen Zephyr. Es gab ein Zuhause, Gelächter und durch ein Fach war das unverkennbare Aroma von Liebe zu schmecken.
Über alldem lag eine große Leere, die alles überschwemmte und in sich aufnahm, ein Loch, wo alles hineinfiel. In das auch Darius hineinfiel.
Er schüttelte den Kopf. Wenn er nachgab, wenn er sich dem Drang beugte, hatte er es sich selbst zuzuschreiben. Er ignorierte das unsichtbare Seil, das straff um sein Inneres gebunden war und ihn mit sich zog, und sandte seinen Geist in ein anderes Fach. Dort stieß er auf einen Sack Mehl und Mäusehinterlassenschaften und eine Frau, die den Boden fegte. Er versuchte es noch mal mit einem anderen Fach und hatte das Gefühl, in einem Turm zu sein, unter einem flachen, gewölbten Tor. Vögel waren da. Hunderte von Vögeln. In einem anderen Fach starb gerade eine Schlange, ein altertümlicher Lindwurm, anders als alle Schlangen, die er aus seiner Welt kannte. Der Lindwurm hatte Flügel, aber sie waren
zerstört, ihrer Federn beraubt, und der Körper war von Speeren durchbohrt.
Als er seinen Geist in das nächste Fach schickte, trat Darius voller Überraschung einen Schritt zurück. Auf der anderen Seite stand ein Zauberer. Genau wie er, schickte er seinen Geist auf Erkundungsreise. Der Zauberer hatte Darius ebenfalls wahrgenommen. Er schien nervös zu sein. Darius fühlte sich tiefer in den Mann hinein und war überrascht, dass ihm dies gelang. Der Mann hatte Angst. Und jenseits seiner Angst schämte er sich. Er hatte eine gewisse Kraft, aber sie schien sich in ihm zusammengezogen zu haben, sodass sie ihre ursprüngliche Form verloren hatte.
Seine Handfläche war mit einem brennenden Wort gezeichnet, das auf seinen gesamten Körper ausstrahlte; ein Wort, das Darius kannte und das seinen eigenen Körper durchdrang.
Grauen überkam ihn und ihm wurde schwindelig. Eine der Türen hatte zu ihm selbst geführt. Und obwohl er allein war, brach ihm der Schweiß aus vor Scham und aus Angst, vor dem, was er gesehen: sein wahres Gesicht, das Gesicht mit dem flachen Kinn, den dünnen Haaren und den Segelohren.
Um all das zu vergessen, wandte er seinen Geist schnell einem anderen Fach zu und tastete sich in die Dunkelheit hinein. Er wusste, es war Endor − die Älteste aller Städte. Oder das Grab unterhalb von Endor, wo Nimiane gefangen gehalten worden war. Aber dort war sie nicht mehr, und er konnte sich nicht durch die Mauern hindurchfühlen an den Ort, den er nur aus seinen Träumen kannte; den Ort, wo die Ältesten der Unsterblichen dem Wahn verfallen und von ihren Nachkommen eingekerkert worden waren. Als aber deren Geister
zerrüttet waren, war niemand in der Lage gewesen, sie festzuhalten. Man hatte ihm gesagt, sie wanderten noch immer geifernd durch die Straßen und nahmen in ihrer Verwirrung allerlei von Licht umflossene Gestalten an.
Darius holte seinen Geist zurück, konzentrierte sich und richtete seine Augen und seinen Geist endlich auf das Eigentliche: In einem kalten Steinsaal saß eine Frau auf einem Thron. Ströme von Leben flossen in sie hinein, in den Boden zu ihren Füßen, in die Wände und in die Pfeiler. Sie hatte eine Katze auf dem Schoß, den einzig ruhenden Punkt. Darius’ Schädel brummte von dem Ansturm, vom Ausmaß der Kraft, die sie in sich aufgesogen hatte, vom Ausmaß des Todes, den es dazu brauchte.
Er trat einen Schritt vor. Jetzt war er ruhiger. Sein Geist musste nicht länger suchen. Er war erfasst worden, war angezogen worden und sein Körper war gefolgt.
Er stand auf dem Steinboden, der bis zum Bersten gefüllt war mit aufgesogener Kraft und Leben. Durch hoch aufragende Fenster fiel Regen herein und rann ihm über das Gesicht. Sie
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