Fluch der 100 Pforten
Sprache nach überhaupt nichts klang.
Es bedeutete »auf«. Oder auch »zu«.
Sämtliche Fenster im Haus sprangen auf. Türen knallten zu. Ein Hund, der sich einen halben Kilometer weit entfernt aufhielt, biss sich in sein eigenes Bein und konnte nicht mehr loslassen. Im Bewässerungsgraben hinter der Scheune hatte ein Fisch aus Neugier eine kleine Sicherheitsnadel verschluckt und klappte überrascht mit den Augendeckeln. Und sämtliche Frösche quakten gleichzeitig. Aber damit war Darius’ Kraft noch nicht erschöpft. Er hatte sie in sich aufgesogen, und nun drängte sie heftig nach draußen. Obwohl seine Arme sich auf Anhieb von den Fesseln befreit hatten, rief er das Wort wieder und wieder. Drei Mal. Vier Mal. Das Haus erzitterte unter dem Aufspringen, Zuknallen, Herausfahren und Hineindonnern. Penelope biss sich auf die Zunge und Zekes Zähne schlugen geräuschvoll aufeinander. Auf der Seite der Stadt Henry in Kansas, wo die Willis’ lebten, flog jede Tür sperrangelweit auf. Öfen, Tresore, Kühlschränke und Mikrowellen wirbelten durch Zimmer, während ihre Türen aufschlugen und wieder zuknallten. Vom Streifenwagen auf dem Hof fielen die Türen ab. Sergeant Simmons konnte sich zwar auf den Beinen halten, aber aus seiner Pistole löste sich ein Schuss und traf ihn in den Fuß, während seine Zähne klapperte.
»Raus hier!«, rief er und zog im Laufen Dotty und die Mädchen mit sich. »Nichts wie nach draußen!«
Penelope wurde von Dotty und Anastasia zur Tür gezogen und geschleppt, während Zeke und Simmons irgendwie Frank
mitschleiften. Dann stürzten sie alle zusammen auf den Hof hinaus.
Benommen stemmte Darius seinen müden Körper in die Höhe. Seine Augen tränten und brannten noch immer. Er fasste sich an den Kopf und befühlte seine Beulen. Sein Zorn war zwar ein wenig abgeflaut, aber noch nicht gänzlich verflogen. Mit einem ärgerlichen Stöhnen fuhr er sich über das Gesicht und stampfte mit dem Fuß auf.
Er war entsetzlich wütend. Einen Moment lang blieb er stehen und versuchte, das brennende Pfefferspray aus den Augen zu blinzeln. Am liebsten hätte er das ganze Haus kurz und klein geschlagen, alles und jedes Lebewesen im Umkreis von dreißig Kilometern umgebracht und den Himmel in Fetzen gerissen. Er war wütend wie eine Wespe, aber er war um einiges größer und bösartiger als eine Wespe.
Die Kreaturen, die eben noch hier gewesen waren, hatten das Zimmer verlassen und das Haus. Bis auf den rosa Sklaven, der oben an der Stelle, wo Darius ihn fallen gelassen hatte, auf dem Fußboden lag. Die anderen waren draußen und Darius wusste, dass der dicke Polizist verwundet worden war. Er würde sie umbringen. Am besten tat er es gleich, an Ort und Stelle, wo sie standen und sich in Sicherheit glaubten.
Er tat es aber nicht, denn es hatte eine Veränderung stattgefunden. Der Boden hinter dem Haus war ein anderer geworden, barg eine andere Sorte Leben. Abgesehen von den Menschen auf dem Hof, gab es an diesem neuen Ort nichts als Gras. Darius hatte das Haus von seinem angestammten Ort entfernt.
Draußen vor dem Haus spürte er nun etwas, das mit nur zwei Wörtern zu beschreiben war. Sie lauteten Leere und Grün . Das Innere aber enthielt etwas wesentlich Interessanteres, ein klar erkennbares Aroma, einen Duft, etwas so unwiderstehlich Anziehendes, dass er darüber seinen Zorn zu vergessen begann. Frank hatte ihn beleidigt. Der dicke Polizist hatte ihm in den Kopf geschossen und ihn gefesselt. Aber das bedeutete ihm jetzt gar nichts mehr. Es war nichts im Vergleich hierzu.
Die Anziehung kam von oben.
Zum ersten Mal seit vielen Jahren spürte Darius so etwas wie Angst. Er wusste, was ihn anzog. Er hatte davon geträumt, seit er zum ersten Mal hinter dem bunt bemalten Wagen eines verrückten Medizinmannes die Legenden von Endor gehört hatte und später dieselben Geschichten auf einem von einem Mönch beschriebenen Pergament noch einmal las.
Er spürte die Gegenwart der Unsterblichen, das Leben der letzten Tochter des zweiten Herrschers, Nimiane, Hexenkönigin über alles, was Endor gewesen war.
Dies war genau das, was Darius gewollt hatte. Was er hoffte, Wirklichkeit werden lassen zu können, als er zum ersten Mal die kleinen Pforten in Henrys Träumen gesehen hatte.
Aber sie war stärker als er. Ihr Leben, ein langsam rotierender, gieriger Strudel, wartete dort oben hinter einer Tür. Und er war in seinem Sog.
Unter Anspannung aller Sinne stieg er die Treppe hinauf, machte an der
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