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Fluch der 100 Pforten

Fluch der 100 Pforten

Titel: Fluch der 100 Pforten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Wilson
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Abgesehen vom sanften Wind, der durch die Bäume säuselte, war alles ganz still.
    Henry war nur einmal in Badon Hill gewesen. Wie oft ihn aber seine Träume zu den hohen Bäumen und der sanften Meeresbrise getragen hatte, konnte er nicht zählen. Von Henrys Standort aus fiel der Inselberg zu allen Seiten hin in moosbewachsenen, schattigen Hängen ab. Riesige Bäume reckten ihre Kronen bis in den Himmel. Henry stand unmittelbar am Gipfel des Badon Hill, auf der alten rechteckigen Felsplatte inmitten der Lichtung, die von den Überresten einer alten Steinmauer umgeben war. Hinter Henry erhob sich ein uralter, verwitterter Baum, mit weit ausladenden Ästen und einem großen Spalt in seinem Stamm; einem Spalt, durch den man in ein Fach und auf einen Dachboden gelangen konnte. Weit, weit unten, zwar nicht mehr zu sehen, aber doch zu riechen, breitete sich das Meer aus.
    Henry sprang von der Felsplatte und lief zu der Ecke,
wo die Knochen des großen schwarzen Hundes aus seinen frühesten Badon-Hill-Träumen liegen mussten. Sie waren tatsächlich dort: der gelbe Schädel, der Brustkorb und einige andere vom Gras überwucherte Gebeine. Henry wusste nicht, warum er von dem Hund geträumt hatte, der immerzu zwischen dem Felsen und dem Baum hin und her lief und an beidem herumscharrte. Aber er spürte, dass es wichtig für ihn war. Irgendwie.
    Henry lehnte sich an den warmen Fels, schloss die Augen und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Dann holte er tief Luft, reckte sich und schlug die Augen wieder auf. Für einen Moment blieb sein Blick unscharf. Fasern wie die Kondensstreifen von Flugzeugen hingen zwischen den Bäumen und verbanden sich miteinander. Henry hörte, wie Nella ihn aufforderte, damit aufzuhören. Aber er achtete nicht auf den Schmerz in seinem Kopf und auf das Hämmern seines Herzens.
    Sein Mund stand weit offen. Dann drehte er sich um und sah den Wind.
    Es war ein Wesen unaussprechlichen Ausmaßes, ein dahinrasender und gleitender Rücken ohne Beine. Henry streckte den Arm aus und sah, wie der Wind sich an seiner Hand teilte, um die tänzelnde Flamme seines Löwenzahns herum, und auf der anderen Seite wieder zusammenfloss. Er konnte es anfassen. Er wusste, dass das ging. Und dass er mitgerissen werden konnte.
    Mit einem Mal begann die Welt zu brausen. Henry fühlte, wie sein Arm zu zucken begann und seine Augen sich verdrehten. Aber es half nichts. Auf gewöhnliche Weise sah er
nun zwar nicht mehr, aber sein zweiter Blick war noch da, wurde von etwas mitgerissen, das so stark war wie die Niagarafälle. Es konnte ihn in Stücke reißen.
    Henry fiel zu Boden, zog die Beine an die Brust und hielt sich die Ohren zu. Immer stärker krümmte er sich zusammen. Er atmete heftig, versuchte den zweiten Blick aus seinem Kopf zu verbannen und kämpfte gegen die Krämpfe an, die sich seiner Glieder bemächtigen wollten.
    Dann wurde es still. Die Welt brauste zwar weiter, aber Henrys Geist ließ den Lärm hinter sich.
    Langsam öffnete er die Augen. Sein Kiefer schmerzte. Sein Mund stand weit offen. Er schloss ihn vorsichtig und mühevoll und setzte sich auf.
    Über Badon Hill strich eine sanfte, friedvolle Brise. Henry rieb sich die Augen und sah sich vorsichtig um. Sein Kopf dröhnte. Er wünschte, er hätte Kopfschmerztabletten dabeigehabt.
    Die große Felsplatte, die unmittelbar vor ihm lag, sah er immer noch unscharf. Henry blinzelte und betrachtete mit leicht zusammengekniffenen Lidern die Flachseite der Felsplatte. Sie lag unmittelbar auf dem Erdboden auf, am oberen und unteren Ende zumindest. In der Mitte aber war eine dunkle, bogenförmige Öffnung erkennbar. Sie ragte gerade eben über den Boden hinaus. Henry sah, dass Gras davor wuchs, aber es wirkte unecht. Eine Gaukelei, die nur seinem ursprünglichen, vordergründigen Blick standgehalten hätte. Nun gab der Boden vor seinen Füßen sogar einen schiefen Treppenschacht frei. Henry beugte sich ein Stück vor und sah hinunter. Die Stufen waren schmal und führten bis zu dem schwarzen
Bogen hinab. Henry schob sein Bein durch das Gras und hielt es über die Stufen. Dort, wo sich vorgeblich Boden befinden sollte, spürte er sogar merkwürdigerweise einen Widerstand. Das Ganze war also keine reine Täuschung. Aber dennoch tauchte sein Fuß hindurch und kam auf einer der schmalen Stufen zum Stehen. Henry rutschte noch ein Stück vor und richtete sich auf. Er stand jetzt mit beiden Füßen auf der Treppe und sah sich um. Zwischen seinen Beinen wuchs das Gras

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