Fluch der 100 Pforten
Holzboden. Der war hart und
feucht und schwankte unter ihm. Henry hörte Wellenschlag und ahnte, dass er sich auf einem Boot befand. Jemand hob seine rechte Hand und befühlte mit dem Finger sein Brandmal. Dann drehte man ihn auf den Bauch und fesselte ihm die Arme auf den Rücken.
»Schlagt die Elfen tot und werft sie über Bord«, befahl jemand.
»Warum?« Das war die Stimme des kleinen Mannes. »Sollen wir die nicht auch mit zurückbringen?«
Die eisige Stimme zögerte einen kurzen Moment. »Behaltet einen«, befahl sie dann. »Und bringt den Rest um.«
Henry lag mit dem Gesicht auf einer Taurolle. Er hörte Schläge und dann das Platschen von Wasser. Aber sein Geist, der ohnehin schon umnebelt war, driftete noch weiter davon, zu etwas anderem – in eine Erinnerung oder in einen Traum aus einer anderen Zeit und von einem anderen Boot.
Henry lag auf dem Rücken und sah in den Himmel hinauf. Ein Segel quietschte und schwang sanft durch das Blau über ihm. Henry versuchte sich zu bewegen, aber es gelang ihm nicht. Ein großer schwarzer Hund kam zu ihm und sah auf ihn herab. Irgendetwas war seltsam an diesen Hundeaugen. Sie schienen etwas sagen zu wollen und Henry verstand es auch, aber er vergaß es im selben Augenblick schon wieder. Er war glücklich. Der Hund saß neben ihm. Im hinteren Teil des Kahns sah Henry einen Mann, der das Boot steuerte. Er lachte und sagte etwas, aber Henry konnte es nicht hören. Auch sein Gesicht konnte er nicht erkennen. Aber er wusste, dass er es mochte. Der Mann stand auf, holte das Segel ein
und vertäute es am Mast. Das Boot lief auf Grund und der Mann sprang hinaus. Henry hätte sich gern umgesehen, aber er konnte sich noch immer nicht bewegen.
Der Mann kam zurück. Er zog den Mast aus der Halterung und legte ihn in das Boot. Der Hund war schon irgendwohin gelaufen. Plötzlich kam Bewegung in Henry. Er bewegte sich zwar nicht selbst, aber er konnte etwas sehen. Der Mann trug ihn. Henry blickte über eine Schulter, auf das Wasser, das sich allmählich entfernte, und auf eine Felszunge, die die Anlegestelle und das Boot schützte. Von Zeit zu Zeit konnte er den schwarzen Hund neben ihnen sehen. Kurz darauf begannen sie in Serpentinen bergan zu steigen und kamen höher und höher. Der Mann sang und Henry blickte auf das sonnenüberflutete Wasser zurück und zum Boot. Er erinnerte sich genau an die Stelle, wo das Boot lag.
Nun waren sie bei den Bäumen angekommen und der Mann blieb stehen, um einige zu berühren. Er schien zu sprechen – oder auch zu singen. Henry sah den Hund hecheln und lachte ihm zu. So gelangten sie immer höher hinauf und der Boden unter ihnen wurde steiler und steiler. Sie liefen schon eine ganze Weile, aber Henry störte es nicht. Er bekam es gar nicht mit.
Mit einem Mal blieb der Mann stehen und jetzt blickte Henry nicht mehr zurück. Er sah auf eine alte Steinmauer. An ihr liefen sie entlang, bis sie zu einer Lücke kamen. Hier hatte sich einmal ein Tor befunden, aber nun war die Mauer eingestürzt. Der Hund sprang durch die Lücke und lief zum Gipfel des Berges hinauf. Henry und der Mann folgten ihm. Hier oben schien die Sonne sehr stark. Es gab weniger
Bäume. Die Hitze brannte Henry im Gesicht. Sie kamen zu einer großen grauen Felsplatte, und plötzlich lag Henry auf dem Rücken im Gras. Er blinzelte in die Sonne und kniff die Augen zusammen. Dann wurde er traurig. Er wusste nicht warum, aber ihm war einfach traurig zumute. Er spürte es in der Brust und im Bauch. Er spürte es im Kopf. Dann wurde er wieder hoch genommen und erneut irgendwo hin gelegt. Hier gab es keine Sonne mehr. Er befand sich in einem Baumstamm und sah hinaus. Er konnte den Himmel sehen und die Baumwipfel. Er konnte die große Felsplatte sehen und den Mann, der darum herum ging. Der Hund kam vorbei, sah ihn an und lief dann wieder weg. An einer Seite der Felsplatte stieg der Mann in die Erde hinab. Henry schloss die Augen. Obwohl er es eigentlich nicht wollte. Er wollte sehen, was der Mann tat. Er wimmerte. Dann vergaß er, was er gewollt hatte.
Als Henry die Augen aufschlug, sah er den schwarzen Hund. Die Sonne war verschwunden. Der Hund stupste ihn mit der Nase. Dann lief er zum Felsen hinüber, scharrte mit den Pfoten und steckte seinen Kopf in ein Loch. Der Himmel hatte sich jetzt bewölkt und Henry fror. Er spürte Wind im Gesicht, und dann Nässe. Er weinte. Der Hund zog seinen Kopf aus dem Loch und Henry konnte sehen, wie er den Boden anbellte. Sein schwarzes Fell
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