Fluch der Engel: Roman (German Edition)
Wort.
»Und? Bringst du mich deshalb jetzt zu deinem Herrn und Meister?«
»Ja. Das sollte ich wohl tun«, antwortete Raffael mit einem Zögern. »Er weiß, wie man die Wahrheit aus jemandem herausbekommt.«
Es gelang mir, meine Angst vor dem, was Sanctifer mir antun konnte, zu verbergen. Mein Magen rebellierte dennoch. Aber anstatt mein Abendessen auszuwürgen, rollte er sich samt seinem Inhalt auf. Ein Teil von mir wollte, dass ich meine Klauen in Raffaels Herz schlug und den Entführern hinterhereilte. Gut, dass mein Verstand den Fehler in diesem Plan erkannte. Raffael war kein Engel. Er würde meinen Angriff nicht überleben.
Mein Zögern schwächte meine Position. Raffael bekam Verstärkung. Doch er verzichtete darauf, die beiden Engel, die ihr Paket inzwischen losgeworden waren, zu sich zu rufen. Stattdessen legte er mir den Arm um die Schultern und zog mich näher an sich heran.
»Du hättest besser auf mich hören und weniger Wein trinken sollen«, tadelte er mich lautstark, so dass die beiden Typen es verstehen konnten, während er meinen Oberkörper nach vorn drückte.
Ich spielte mit, würgte und gab vor, mich in den Kanal zu übergeben. Die beiden Engel schauten kurz zu uns herüber, lachten und verschwanden dann im Hauptgebäude.
Raffael ließ mich los, um mich gleich darauf wieder festzuhalten, damit ich nicht ins Wasser fiel. Seine Zähne knirschten. Er war wütend. Vielleicht auf mich. Doch ich war auf Furchteinflößenderes vorbereitet.
Er hielt meine Taille umklammert und drängte mich über die Kanalbrücke auf das Hauptgebäude zu. Es wäre mir vermutlich gelungen, ihn abzuschütteln – kampferprobt genug war ich. Sein unruhiger Blick und die Tatsache, dass er mich in einen der abseits gelegenen Gärten bugsierte, überzeugten mich davon, dass er mich nicht verraten würde.
Raffael hielt mir eine Standpauke darüber, wie dämlich es war, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Danach folgte ein aufschlussreicher Vortrag über die Sicherheitsvorkehrungen rund um den Palast. Abgesehen davon, dass ich nicht in die Menschenwelt flüchten konnte, weil ich kein Wächterband für die äußere Pforte besaß, hätten mich die Wachposten spätestens beim Verlassen des Bootshauses entdeckt.
»Sanctifer hasst unangemeldete Besucher. Deshalb hat er rund um die Insel Patrouillen aufgestellt«, beendete Raffael seine aufschlussreiche Erklärung.
»Klar, als Vollstrecker des Rats hat er sicher mehr Feinde als Freunde.«
Raffael warf mir einen undefinierbaren Blick zu und schwieg. Wollte oder konnte er mir nichts über den zappelnden Kartoffelsack verraten? Den hatte er bislang nämlich nicht erwähnt.
»Was war in dem Sack, den die beiden Engel hergebracht haben?«, fragte ich, um ihm mehr zu entlocken.
Raffael presste für einen kurzen Moment seine Lippen zusammen, als hätte er Schmerzen – vielleicht machte ihm seine Maske zu schaffen. Doch er fing sich schnell wieder. Seine Antwort fiel unerwartet arrogant aus.
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
Dass Raffael mich als Idiotin dastehen ließ, obwohl er an den beiden Engeln vorbeigelaufen sein musste, brachte mich aus derFassung. »Und vermutlich auch nicht, dass der andere Lucia berauscht und verschleppt hat?!«, zischte ich und drängte Raffael gegen die nächstgelegene Palme. Meine Hände griffen nach seiner Kehle, meine Krallen juckten.
Ich biss die Zähne zusammen. Raffael war menschlich. Ein Fehler, und er würde sterben. Der Blick in seine schwarzen Augen brachte mich zur Vernunft. Hastig ließ ich ihn los und versuchte, das Schwächegefühl und die aufziehende Kälte auszublenden – mir war, als hätte das Krallenzurückhalten einen Teil meiner Energie verbraucht.
»Offenbar hast du zu viel Wein getrunken«, hörte ich Raffael antworten. »Du solltest jetzt besser auf dein Zimmer gehen und dich ausruhen.«
»Mehr hast du mir nicht zu sagen?«
»Nein. Geh jetzt! Oder soll ich dich begleiten?«
»Eine ausgezeichnete Idee, Raffael. Nicht dass Lynn in meinem Palast noch auf Abwege gerät, wo sie es doch tatsächlich geschafft hat, durch eine verschlossene Tür zu kommen.« Endlich bemerkte auch ich, wer zu uns gestoßen war. Sanctifer lächelte, doch seine Augen blieben kalt.
»Wie du meinst«, willigte Raffael ein und schnappte sich meinen Arm, um mich aus dem Garten zu zerren.
Ich folgte ihm freiwillig. Sanctifer versuchte gerade, in meinen Erinnerungen herumzustochern. Das eisige Prickeln auf meiner Stirn konnte nur von ihm
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