Fluch der Engel: Roman (German Edition)
Jahr? Wollte er mich langsam quälen? Mich dazu bringen, meine Gefühle zu offenbaren, um Christopher hierherzulocken? Das hätte er einfacher haben können.
Während sich in meinem Magen ein Knoten bildete, löste sich der in meinen Hirnwindungen. Es gab nur einen sinnvollen Grund, mich hier festzuhalten: Christopher weit weg von Venedig zu wissen. Christopher kannte seinen einstigen Mentor besser als jeder andere Racheengel des Zirkels. Wenn Sanctifer etwas plante, wäre er vermutlich der Erste gewesen, der das erkannt hätte. Ihn von Venedig fernzuhalten war die einfachste Methode, sich vor Christopher zu schützen – und ich war der Grund, warum seineinstiger Schüler Venedig meiden musste. Fein säuberlich hatte Sanctifer seine Falle aufgestellt. Selbst Aron hatte nichts bemerkt. Vermutlich hätte Christopher den Hinterhalt erkannt, aber Sanctifer hatte ihn geschickt aus dem Spiel genommen.
Wütend, weil ich in meiner Suite eingeschlossen war, wo ich Sanctifers Geheimnis niemals enträtseln konnte, stapfte ich zur Eingangstür. Irgendwann würde jemand aufschließen, falls ich nicht eines Hungertods sterben sollte.
Lange musste ich nicht warten. Die Tür stand einen Spaltbreit offen, und ein zusammengefalteter Zettel steckte darunter – sicher mal wieder eine Nachricht von ihm , war mein erster Gedanke. Doch dieser Brief stammte wohl eher nicht von Sanctifer.
Wenn du mehr wissen willst, solltest du dir die
Gäste mit den Silbermasken genauer ansehen.
Obwohl ich mir nicht sicher war, ob es sich bei dem Zettel nicht doch um einen von Sanctifers Tricks handelte, nutzte ich die Gelegenheit, um aus meinem Zimmer zu fliehen. In meinem inzwischen vollbestückten Kleiderschrank fand ich etwas Geeignetes zum Anziehen, eine Maske im Empfangsraum. Anders als mit der feenglitzernden Robe, auf die Sanctifer heute bestanden hatte, würde ich mit dem dunkelblauen Kleid und der dazu passenden Maske auf dem Ball nicht weiter auffallen. Ein Blick in den Spiegel zeigte mir, dass mich allerhöchstens meine Augen verraten konnten. Doch Engel mit braunen Augen gab es viele.
Der Maskenball schien seinen Höhepunkt erreicht zu haben. Tanzende Paare im Saal, ausgelassenes Gelächter im angrenzenden Atrium. Doch ich hörte auch andere Geräusche. Etwas wie ein »Nein … Bitte! …«, gefolgt von einem erstickten Laut, zog mich zu einem der Seitenflügel des Palastes. Einen in Bedrängnis geratenen Jungen entdeckte ich dort allerdings nicht. Nur davor postierte Wachen, die mich aufhalten würden.
Da ich es nicht auf eine Auseinandersetzung anlegen und keinenZwangsbesuch bei Sanctifer riskieren wollte, solange ich keine handfesten Beweise hatte, lief ich weiter Richtung Ballsaal. Gut möglich, dass ich nur mit angehört hatte, wie eine tollpatschige Putte gemaßregelt wurde – was ziemlich oft vorkam.
Ein junges Mädchen mit einer silbernen Maske torkelte an der Seite eines blonden Engels auf mich zu. Er hatte seinen Arm um ihre Taille geschlungen, um sie zu stützen. Ich sah beiseite, weil ein Funke Eifersucht mit einem großen Anteil Sehnsucht in mir erwachte. Doch ich wollte nicht an Christopher denken – nicht, solange ich Sanctifers Gefangene war.
Sandelholzduft erreichte mich. Für meinen Geschmack versprühte der Engel etwas zu viel von seinem Betörungsduft. Zumal ihn seine Partnerin sowieso schon anhimmelte, als wäre er das siebte Weltwunder. Erst als sie an mir vorbeiliefen, bemerkte ich, dass nicht sein übermäßiger Engelsduft mich störte. Es war ihrer – er fehlte. Sie roch nur nach Seife, Deo und Sanctifers Wein.
Ich verdrängte den üblen Gedanken, dass das Mädchen ihrem Begleiter vielleicht nicht ganz so freiwillig folgte, wie es aussah, und lief weiter. Schließlich sollte ich mir nicht bloß einen von Sanctifers Gästen mit Silbermaske genauer ansehen, und die meisten von ihnen tummelten sich im Ballsaal. Außerdem, so ungewöhnlich war es nun auch wieder nicht, dass ein Mensch einen Engel liebte – schließlich hatte auch ich mich in einen verliebt, als ich noch menschlich war.
Dass fast die Hälfte der Tänzer und Tänzerinnen eine silbern glitzernde Maske trug, erschien mir in Anbetracht der pompösen Roben nicht ungewöhnlich – dass ihre Partner niemals eine solche Maske trugen, dagegen schon.
Ich ließ mich auf einen freien Stuhl sinken, weil mein Kreislauf drohte, schlapp zu machen – eine vielleicht viel zu menschliche Reaktion für jemanden ohne Silbermaske. Allerdings konnte es auch
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