Fluch der Engel: Roman (German Edition)
beeilen, wenn du noch ein Leuchtschiff entzünden möchtest«, war alles, was er sagte, bevor er seinen Blick von mir löste und mich freigab.
Kapitel 4
Lichtmeerfest
T ausende waren gekommen. Die Stege, die über den Markusplatz und die kleinere Piazzetta vor dem Dogenpalast geführt hatten, waren verschwunden. Wer jetzt noch auf die andere Seite zu den für diese Nacht aufgebauten Plattformen kommen wollte, musste entweder durch hüfthohes Wasser waten oder fliegen – was für einen normalen Engel ja kein Problem darstellte.
Der Platz, auf dem wir uns trafen, befand sich nur wenige Meter von meiner Unterkunft entfernt, am Ende des erhöht gelegenen Säulengangs, in der Nähe des alles überragenden Glockenturms. Aber nicht nur hier, im Herzen der Stadt, hatten sich die Engel versammelt. An allen Uferpromenaden und Gassen, die an einen Kanal grenzten, standen sie in weiße Mäntel gehüllt und beobachteten, wie die Nacht heraufzog.
Auch ich trug einen hellen Umhang, ebenso wie Christopher, Aron und die Prüflinge vom Schloss der Engel samt ihren Protegés. Das Ende des Karnevals rückte näher und mit ihm das Abschiednehmen. Im Gegensatz zu den Protegés, die während der Prüfungen als Übungsdummys herhalten mussten, würden von den anderen Schülern nur Paul und ich ins Schloss zurückkehren. Auf Leonie, Sebastian und den Rest der Prüflinge wartete eine neue Aufgabe. Sie würden einen erfahrenen Schutzengel begleiten, bis sie bereit waren, einen eigenen Schützling zugewiesen zu bekommen.
Leonie standen Tränen im Gesicht, als sie die Kerze in ihrem Leuchtschiff anzündete und es ins Wasser gleiten ließ. »Ich vermiss dich schon jetzt«, schluchzte sie, als sie Aron um den Hals fiel. Sie umarmte auch Christopher und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
Ich sah beiseite und friemelte den Docht meines Leuchtschiffchens zurecht, obwohl er perfekt nach oben zeigte. Da ich inzwischen wusste, dass meine Eifersuchtsattacken durch meine Dämonengene verstärkt wurden, versuchte ich wenigstens auf andere gelassen zu wirken – was mir leider nicht immer gelang. Vermutlich deshalb ließ mich Aron während Leonies Kussanfall auch nicht aus den Augen. Ich gab vor, nichts zu bemerken, und kümmerte mich weiter um mein hölzernes Leuchtschiff. Schließlich warteten noch weitere Engelschüler und -schülerinnen darauf, sich von Christopher zu verabschieden.
Als es an dem hölzernen Boot, das am Ende selbst in Flammen aufgehen würde, nichts mehr zu richten gab, entzündete ich die Kerze, verfrachtete es ins Wasser und ergriff die Flucht. Paul diente mir als Rettungsanker.
»Wirst du mit Aron fliegen?«, fragte er.
»Ich dachte, wir nehmen alle den Zug?«
Paul brach in schallendes Gelächter aus, was meine Gelassenheit erneut auf die Probe stellte. Ich bestand und blieb ruhig. Schließlich klärte Paul mich auf.
»Nicht morgen, heute. Wenn die Kerzen entzündet sind, erheben sich alle Engel, um dem Strom der Lichterschiffchen zu folgen. Bleiben sie in der Lagune, erwartet uns ein ruhiges Jahr. Treiben sie ins offene Meer hinaus, wird es stürmisch.«
»Und? Wie stehen die Prognosen für heute?« Ich war mir sicher, dass darüber Wetten abgeschlossen wurden.
»Lagune, wie immer«, antwortete Paul. »Obwohl ich glaube, dass sie dieses Jahr nicht im geschützten Wasser bleiben.«
»Und warum nicht?« So, wie ich Paul kannte, hatte das etwas mit mir zu tun.
Paul schenkte mir eines seiner nur für mich reservierten Lynn-Grinsen. Offenbar wusste er, was ich dachte – oder mein Tonfall hatte doch ein wenig zu scharf geklungen.
»Lynn, du bist nicht der Ursprung allen Übels, auch wenn Aron dich noch immer beobachtet. Es ist Neumond, und im Hinterlandbraut sich ein Sturm zusammen. Die Flut wird heute also ein wenig stärker ausfallen als sonst. Das ist alles. Aber wahrscheinlich verliere ich meine Wette und muss für die nächsten zwei Monate Ovoostöcke schnitzen.« Wie um seine Sturmwarnung zu bestätigen, fegte eine Böe die Häuserzeilen entlang und brachte die Wasseroberfläche auf dem gefluteten Markusplatz zum Kräuseln.
Ich wickelte mich in meinen weißen Umhang, um mich vor dem schneidenden Wind zu schützen, während Paul von Sebastian in Beschlag genommen wurde. Keine Sekunde später stand Christopher hinter mir, schlang seine starken Arme um meinen fröstelnden Körper und zog mich beiseite in den Schatten des Campanile. Seine Wärme beruhigte mich, seine Nähe vertrieb die Angst, ihn an Sanctifer zu
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