Fluch der Engel: Roman (German Edition)
bestätigte er meine Befürchtung, sich gegen Sanctifer zu stellen.
»Dann wirst also in Zukunft du mein Kampftraining übernehmen? Und es zum Softtraining umfunktionieren?«, fragte ich mit einem ironischen Unterton, um Christopher von Sanctifer und seinen Rachegedanken abzubringen.
»Vielleicht«, antwortete er mit einem vagen Grinsen. Sein plötzlicher Stimmungsumschwung hätte mich warnen müssen. »Vertraust du mir?«
»Ja«, antwortete ich, dank Christophers verführerischem Flüstern, mit einem Kribbeln im Bauch.
»Gut, denn eines werde ich mir nicht nehmen lassen: dir das Fliegen beizubringen.«
Eine halbe Drehung in Christophers Armen, und seine Hände gaben mich frei. Mit dem Gesicht Richtung Erde stürzte ich aus gigantischer Höhe auf den Markusplatz hinab. Ein wahres Lichtermeer aus Feuerschiffchen, beladen mit flackernden Kerzen, tummelte sich vor der Basilika. Ebenso viele trieben durch die Kanäle, die das Venedig der Engel durchzogen.
Ganz von allein breiteten sich meine rosaroten Schwingen aus und bremsten den Fall in die Tiefe.
»Wunderschön«, hauchte ich, ergriffen vom Feuerschein der unzähligen Flämmchen, die durch das Auf und Ab der sanften Wellen hin und her schaukelten. Ihr warmes Licht überzog die Stadt unter dem dunklen Nachthimmel mit einem sanften Schimmer und verlieh den ohnehin prächtigen Gebäuden einen wahrlich atemberaubenden Glanz.
»Ja, wunderschön«, bestätigte Christopher, der meinen Flug in Reichweite überwachte – im Gegensatz zu mir natürlich in senkrechter Position. Allerdings sah er dabei nicht die Stadt der Engel, sondern mich an. Das warme Kribbeln in meinem Bauch breitete sich aus, als ich seinen Augen begegnete.
»Sieh nach unten, es geht los«, forderte er mich auf.
Es fiel mir schwer, mich vom Anblick des schwebenden Racheengels zu lösen. Doch das unheimliche Rauschen der zahllosen Engelsflügel, die sich im selben Moment in die Luft erhoben, als eingigantisches Horn auf dem Campanile ertönte, zwang mich hinabzuschauen. Weiße Flügel hinter weißen, im kühlen Nachtwind flatternden Capes begleiteten das ruhig dahindümpelnde Lichtermeer. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, als das gespenstische Rauschen anschwoll, als hätte jemand einen Stock in ein Hornissennest gestoßen. Das Heer der weißgekleideten Engel machte mir Angst: Gespenster mit Flügeln.
Eine Böe brachte Bewegung in das Lichtermeer, auf das ich hinabsegelte. Angestachelt vom Wind und der ablaufenden Flut, trieben die leuchtenden Schiffe aus den Kanälen in die Lagune hinaus. Schaukelnd tanzten sie auf den Wellen der offenen Fläche zwischen der Stadt und der vorgelagerten Inselgruppe. Noch würde Paul seine Wette verlieren. Doch wie er vorhergesehen hatte, frischte der Wind auf und trieb die Schiffchen voran.
Die Böen wurden kräftiger. Eine brachte mich aus dem Gleichgewicht. Mein rechter Flügel kippte nach oben, und ich geriet ins Trudeln. Hektisch versuchte ich, das rosarote Teil auf meinem Rücken zurück in die Waagerechte zu bringen. Leider reagierten meine Flügel nicht auf meinen inneren Befehl. Christophers sanftes »Vertrau dem Wind«, das mich bei meinem Schlingersturz begleitete, half auch nicht, meine Lage zu verbessern. Schließlich war genau dieser Wind daran schuld, dass ich gleich auf den gefluteten Markusplatz klatschen würde.
Bevor es so weit kam, zog Christopher die Notbremse. Mit einem waghalsigen Flugmanöver schob er sich unter mich und bremste meinen Fall. Mein Körper landete auf seinem Rücken. Gigantische Schwingen berührten meine. Lichtblitze zuckten hindurch und schlugen über. In Wellen rollten sie meine Flügel entlang, bis ich glaubte, selbst aus Licht und Blitzen zu bestehen.
Das aus den Bergen heraufziehende Gewitter, die aufs Meer eilenden Lichterschiffchen: Sie waren vergessen. Nur noch Christopher und der sanfte Schlag seiner Flügel existierten. Im Gleichklang glitten wir über die nächtliche Stadt. Unsere Schatten verschmolzen. Selbst der Takt meines Herzens schien seinem zu folgen.
Ich umschlang Christophers Hals und küsste die Vertiefung in seinem Rücken. Sein ohnehin berauschender Gewitterduft verstärkte sich, hüllte mich ein und vertrieb die Angst, dass unsere Liebe zum Scheitern verurteilt war. Ein heftiger Lichtblitz, gefolgt von einem grollenden Donnern, transportierte mich in den Luftraum über Venedig zurück.
»Wir müssen landen«, hörte ich Christopher. »Du weißt noch nicht, was du tun musst, damit
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