Fluch der Engel: Roman (German Edition)
Bedenken. Seine schwarzen Augen flehten mich an, ihm eine Chance zu geben. Selbst Paul bemerkte das.
»Lass ihn am Leben, bis ich wiederkomme. Ich bring die hier nur schnell weg«, knurrte er, während er die Gefangenen auf den Balkon drängte.
Es überraschte mich, dass Paul mich mit Raffael allein ließ. Aber was konnte ein unbewaffneter Mensch gegen einen bewaffneten Engel schon ausrichten? Auch wenn es sich bei Raffael um Sanctifers Sohn, also genau genommen um einen Nephilim, handelte. Dass er tatsächlich der Sohn dieses Monsters war, daran hatte ich inzwischen keine Zweifel mehr. Nur seinem eigenen Fleisch und Blut hätte Sanctifer so viel Macht eingeräumt. Blieb die Frage, wie freiwillig Raffael die Verbrechen seines Vaters unterstützte.
Raffael stand am anderen Ende des Raums neben dem Durchgang zum Balkon und betrachtete mich, als sähe er mich zum ersten Mal.
»Die Flügel sind wunderschön«, flüsterte er wie zu sich selbst. Ich zuckte dennoch zusammen. Das hatte ich schon einmal gehört. Allerdings von einem Engel, der mich liebte.
Völlig unpassend prickelte ein heißkalter Schauder von meinen Schulterblättern über meinen Nacken bis zu meinem Herzen. Christopher lebte – er war nicht ins Meer gestürzt.
»Meine alten sind verbrannt, als ich die Engelswelt betreten habe«, erwiderte ich trocken. Vielleicht hatte Raffael gewusst, dass sie in Flammen aufgehen würden.
»Bei deiner Flucht?«
»Ja. Meine dämonische Seite war zu mächtig, als ich in die Engelswelt gewechselt bin. Wenn Christopher mich nicht gerettet hätte, würde ich jetzt nicht hier stehen.«
»Ich … das … das wusste ich nicht.« Raffaels Betroffenheit war echt – ich glaubte ihm. Trotz seiner aus Engelsmagie gewobenen Maske spürte ich, wie er unter seiner gebräunten Haut erblasste. Er trug sie nicht, um seine Gefühle zu verbergen, sondern um die Narben zu verstecken, mit denen ihn das Feuer gebrandmarkt hatte, das ihn beinahe getötet hätte. Ich war mir sicher, dass in den Flammen ein blauer Funke loderte.
»Und dass du Sanctifers Sohn bist?« Meine Stimme bebte vor unterdrückter Wut auf dieses Monster.
»Das wusste ich.«
Meine Flügel blitzten purpurn, mein Schwert zielte auf Raffaels Kehle. Er zuckte nicht zurück. Entweder war er vor lauter Furcht erstarrt oder er hatte überhaupt keine Angst – weil er glaubte, dass ich ihm niemals etwas antun würde.
»Allerdings erst«, fuhr er fort, als wäre meine Waffe nur ein Stück Plastik, »seitdem er mich überredet hat, ihm mehr von meinem Blut zu schenken.« Raffael strich sich durch seine halblangen, schwarzgewellten Haare. Er wirkte müde, ausgelaugt. Vermutlich war er das, weil Sanctifer seine Monster an ihn gebunden hatte.
»Er ließ mir Augen und Ohren verbinden, damit ich nichts davon mitbekam, wenn er einen Engel in ein Monster verwandelte.Hätte ich geahnt, was er an mich bindet, hätte ich niemals zugestimmt.«
Ich senkte mein Schwert. So langsam wurde mir einiges klar. »Er hat dein Blut benutzt, um die dunklen Engel in der Menschenwelt zu verbergen?«
»Ja. Das Labyrinth unter den Ruinen ist genauso unüberschaubar wie das unter Sanctifers Palast. Allerdings hätte mein Blut bei weitem nicht ausgereicht. Doch anscheinend ist es nicht besonders schwer, freiwillige Spender zu finden. Einen Engel zu lieben reizt viele Menschen.«
Ich schenkte mir einen Kommentar – schließlich war ich ja kein Mensch mehr. Eine andere, grausame Erinnerung drängte sich mir auf.
»Und womit hat er dich dann letztendlich doch überredet, als freiwilliger Spender zu dienen?« Bei Sanctifers Initiationsritus wusste Raffael ganz genau, worauf er sich einließ.
Anstatt zu antworten, wandte Raffael sich ab und starrte zu einem der großen, von Bögen überspannten Fenster hinaus auf den noch immer umkämpften Vorplatz des Dogenpalastes.
»Was hat er dir versprochen?«, drängte ich ihn zu einer Antwort.
»Er hat mir geschworen, dich nicht zu einem Schatten zu machen«, sagte Raffael so leise, als würde er wieder mit sich selbst reden.
Raffael hatte es für mich getan?! Warum?
Ich ließ mein Schwert sich in Luft auflösen. Sanctifer hatte seinen eigenen Sohn mit einem Versprechen erpresst, von dem er wusste, dass er es nicht einhalten würde?! Wie musste Raffael sich gefühlt haben, als er erkannte, dass sein Vater ihn dermaßen betrogen hatte? Schon mir wurde übel bei dem Gedanken. Und mir war klar, dass ich wahrscheinlich noch nicht mal die Hälfte von dem
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