Fluch der Engel: Roman (German Edition)
wusste, was Sanctifer ihm angetan hatte.
Raffael drehte sich wieder zu mir um. Seine Augen schimmerten wie schwarzer Granit und verrieten nichts von seinen Gefühlen.Offenbar wollte er nicht, dass ich Mitleid mit ihm empfand – doch diesen Wunsch konnte ich ihm nicht erfüllen.
»Dass er mir dabei auch einen kleinen Teil ihrer Seelen untergejubelt hat, das hat er mir allerdings erst an dem Tag verraten, als er dir anbot, deine Spangen abzunehmen.«
Ich musste mich verhört haben. Raffael war kein Engel. Er konnte keine Engelsmagie festhalten. Als Antwort auf meine Reaktion zeigte sich ein bitterer Zug auf Raffaels schönem Gesicht. Er wusste genau, warum ich ihn anstarrte.
»Jedes Mal, wenn ich ihn besuchen kam, hat Sanctifer meine Körpermaske erweitert, um die Energie der zerrissenen Seelen unter dem Zauber zu verbergen. Er ließ mich in dem Glauben, dass es mich überfordern würde, wenn er alle Narben auf einmal überdecken würde. Ich habe ihm vertraut, mich jedes Mal riesig gefreut, wenn ein weiteres Stück verbranntes Fleisch verschwand.« Raffaels Lippen verzogen sich zu einem freudlosen Lächeln. »Mein Gesicht hat er übrigens ausgespart – damit er es mir jederzeit nehmen konnte.«
Raffaels Stimme klang dunkel vor Schmerz. Die Bosheit seines Vaters schien keine Grenzen zu kennen. Und während ich noch gegen einen plötzlich auftretenden Würgereiz ankämpfte, fand ein weiteres Puzzleteil seinen Platz. Da Raffael weder Mensch noch Engel war, konnte Sanctifer ihm diese Bürde auferlegen, ohne dass Raffael etwas davon bemerkt hatte – im Gegensatz zu mir!
Das Bild des Narbengeflechts, das Raffaels Körper in Wirklichkeit überzog, drängte aus meiner Erinnerung hervor. Als er mir letzten Sommer gezeigt hatte, wie er ohne Sanctifers Zauber aussah, war der untere Teil seines Bauchs noch mit Narben übersät gewesen. Und trotz all der Hässlichkeit hatte mein Wunsch, ihn zu berühren, gesiegt. Tausend haarfeine Blitze waren durch meine Fingerspitzen gezuckt. Damals hatte ich geglaubt, Raffael hätte irgendwelche Flüsterertricks angewandt, um mich zu verunsichern – inzwischen wusste ich es besser. Es war die Energie der Engelseelen gewesen, die Sanctifer an ihn gebunden hatte und die es dendunklen Engeln ermöglichte, auch nach Sanctifers Tod ihre Aufgabe zu erfüllen.
»Sanctifer hat seine Maske nur dann getragen, wenn er einem Engel die Seele rauben wollte – und natürlich heute, um sie unter Kontrolle zu halten«, erklärte Raffael tonlos.
Mein Verdacht, dass auch Raffael die dunklen Engel steuern konnte, bestätigte sich auf eine viel schrecklichere Weise, als ich es mir jemals hätte vorstellen können. Die Energie, die ich während Massimos Hinrichtung bei Sanctifer gespürt hatte und von der ich glaubte, er würde sich damit vor seinen Monstern schützen, war seine Maske gewesen.
»Er hat über Jahrhunderte experimentiert, wie die Seele eines Engels gebunden wird. Und noch ein paar weitere, um herauszufinden, wie er den dunklen Teil, den manche Engel in sich tragen, loslösen und vor einem Racheengel verbergen kann. Er wollte eine Armee dunkler Engel erschaffen, um die Dogin zu stürzen. Doch dazu brauchte er einen fügsamen Schatten.«
Raffael verstummte, als er sah, wie ich erblasste. Bedauern spiegelte sich auf seinem Gesicht, während er fortfuhr.
»Als Christopher entkam, schwor Sanctifer, sich zu rächen. Es kostete ihn weitere Jahre, bis er seinen Plan umsetzen, Christophers besten Freund töten und dich in seine Gewalt bringen konnte.«
Sanctifers Freude, als bei Massimos Initiationsritus meine dämonische Seite erwachte, blitzte in meiner Erinnerung auf. Ich wischte sie beiseite. Sanctifer war tot. Nur seine dämonischen Kreaturen lebten noch. Sie mussten gestoppt werden – und ich war mir sicher, dass Raffael das konnte.
»Kannst du sie aufhalten?« Raffael wusste, wovon ich sprach.
»Sanctifer hat ihnen den Befehl erteilt, die Dogin, alle Mitglieder des Rats und des Zirkels der Racheengel zu töten – auch dich.«
»Und was ist mit aufhalten?«, unterbrach ich ihn – Raffael hatte meine Frage nicht beantwortet.
»Wenn ich das könnte, dann hätte ich es schon längst getan.« Raffaels Stimme erstarb. Sein Blick flehte mich an, ihm zu glauben. »Nur ein Engel wie du kann sie stoppen. Sie werden kämpfen, bis sie sterben – oder ich.«
»Das … das wird nicht nötig sein«, stammelte ich, verwirrt von Raffaels Vorschlag. »Du musst nicht sterben. Es reicht, wenn du
Weitere Kostenlose Bücher