Fluch der Engel: Roman (German Edition)
nur seinen Beschützerinstinkt an, sondern auch seine Angriffsbereitschaft.
Es war nicht das erste Mal, dass ich mich in den Kampf zweier Engel einmischte. Entschlossen mobilisierte ich meine verbliebenen Kraftreserven und stellte mich zwischen die beiden Streithähne.
»Lynn! Geh zurück! Sofort!« Christophers Stimme dröhnte furchterregend – ich hielt ihr stand. Und auch dem undefinierbaren Blick seines Gegners.
Die Goldsprenkel in seinen Augen wurden größer, doch ich war mir sicher, nicht in Gefahr zu sein. Wenn Nagual mir etwas hätte tun wollen, wäre das vor ein paar Stunden wesentlich einfacher gewesen als jetzt, mit einem aufgebrachten Racheengel in meinemRücken. Erst als mein Gegenüber mir den Unterschied erklärte, begriff ich, in welcher Gefahr ich schwebte.
»Entweder du bist äußerst mutig oder extrem dumm – nein, sagen wir lieber unerfahren.« Langsam senkte sich Naguals Schwert. Einen Moment zielte es auf mein Herz, ehe es in einem Sternenhagel im Nirgendwo verschwand. »Wenn du das nächste Mal vor einem bewaffneten Racheengel stehst, solltest du darauf achten, noch genügend Energie zu besitzen, um deine Flügel rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Dein Dämonenerbe auszulöschen ist vielleicht nicht ganz so reizvoll, wie deine Engelsmagie zu kosten – aber dennoch verführerisch genug .« Genüsslich rollte Nagual das verführerisch genug auf seiner Zunge, bevor er sich über uns erhob und mir endlich klarwurde, dass er mir nur meine Flügel abtrennen und sein Schwert ins Herz hätte rammen müssen, um mich – die ich gerade begann, an die Ewigkeit zu glauben – für immer auszulöschen.
Kapitel 5
Sprachlos
A ron entschied, dass Christopher und ich auf der Zugfahrt von Venedig zurück ins Schloss der Engel ein Abteil für uns allein belegen sollten. Anscheinend setzte er darauf, dass ein paar Stunden auf engem Raum ausreichen würden, um den schwelenden Streit zu beenden, der seit der Begegnung mit Nagual zwischen uns stand.
Mit zornigen Jadeaugen und blitzenden Flügeln hatte Christopher meine Taille umschlungen, mich vom Dach der Basilika gezerrt und auf mein Zimmer geschleppt. Viel zu ruhig hatte er mir dort erklärt, dass ich mich nie wieder zwischen ihn und einen anderen Engel stellen solle, wenn er eine Waffe in der Hand hielt – blanke Wut loderte in ihm.
Verwirrt hatte ich mich abgewandt, aus dem Fenster in die Nacht gestarrt und beobachtet, wie die letzten Lichterschiffchen auf das offene Meer zutrieben. Paul hatte recht behalten: Es würde ein unruhiges Jahr werden – zumindest für mich.
Schließlich war Christopher ohne ein weiteres Wort gegangen. Doch in seinem Blick stand eine Angst, die ich noch nie bei ihm gesehen hatte. Er fürchtete genauso sehr, mich zu verlieren, wie ich ihn.
Natürlich konnte ich Christophers Wunsch, mich lieber in Sicherheit als in Gefahr zu wissen, gut nachvollziehen – mir ging es bei ihm ja nicht anders. Aber mich wie ein ängstliches Mäuschen hinter seinem Rücken zu verstecken, während er den Helden spielte, widersprach allem, wofür ich seit meiner Engelwerdung geschuftet hatte. Schließlich sollte aus mir ein furchtloser Racheengel werden, der nicht schreiend davonlief, sobald sich ihm etwas Bedrohliches in den Weg stellte.
Auch welches Problem Christopher damit hatte, dass der Streit zwischen ihm und Nagual unblutig zu Ende ging, blieb mir ein Rätsel. Dass er jedoch bis zu meiner Abreise aus Venedig nicht mehr aufgetaucht war, schmerzte heftig. Ganz davon abgesehen, dass ich vor lauter Sorge kaum noch schlafen konnte. Angst und Wut waren eine gefährliche Mischung, besonders bei einem so mächtigen Racheengel wie Christopher.
Arons Plan ging nicht auf. Christopher ließ sich nicht blicken. Betrübt saß ich allein in meinem Abteil, starrte aus dem Fenster und beobachtete, wie das Venedig der Menschen immer kleiner wurde, Hügel auftauchten und sich zu schroffen Bergen auftürmten, während die Nacht hereinbrach und das Schaukeln des Waggons mich schließlich einschläferte. In meinem Traum bettete ich meinen Kopf auf Christophers Schoß. Sanft strich er über meine Haare und betrachtete mich voller Liebe – und dieser unsagbaren Angst.
Versuch, mich zu verstehen , flüsterte er. Denn ohne dich bleiben nur noch Schatten. Vorsichtig zeichneten seine Finger die Konturen meines Gesichts nach. Sein Mund folgte, zögerte kurz und legte sich dann für einen endlos schönen Moment auf meine Lippen.
Ich wollte ihm in die Augen
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