Fluch der Engel: Roman (German Edition)
fürchteten sich gewöhnliche Engel wie er. Ein Hieb mit meiner krallenbewehrten Faust, und Aron läge mir zu Füßen. Warum nur hatte Christopher mir die Spangen angelegt?
Doch nicht der Engel, sondern meine dämonische Seite suchte sich ihren Weg. Rote Schleier tanzten vor meinen Augen.
Starke Arme umschlangen meinen Körper, zogen mich von Aron weg und hielten mich mit eiserner Härte.
»Tu es nicht. Lass nicht zu, dass es mächtig wird. Wenn du ihm nachgibst, ihm vertraust, beginnt es, dich zu zerstören. Es wird deine Engelseele finden und vernichten, bis du nur noch ein Schatten deiner selbst bist, gefangen in der Gestalt einer Bestie.«
Mit allem, was ich aufzubieten hatte, wehrte ich mich gegen den stählernen Griff, der mich gefangen hielt. Aber viel schlimmer, als den unerbittlichen Armen, war es, dem Klang dieser samtweichen Stimme zu widerstehen. Tief drang sie in mein Herz und schwächte den Schattenengel, den meine unkontrollierte Wut geweckt hatte.
Ich verschloss mich gegen die Wärme, die sich in mir ausbreitete, und suchte stattdessen nach dem Dunklen in mir.
»Lynn, wenn dein Schatten gewinnt, weil du hoffst, so dein Ziel schneller zu erreichen, wirst du ihm erliegen. Lass nicht zu, dass du dich verlierst.«
Meine Zähne malträtierten den Arm, der mich festhielt. »Ich werde nicht verlieren«, fauchte ich.
»Doch, das wirst du.« Christophers Gewitterduft hüllte mich ein. »Aber ich werde um dich kämpfen, wenn dein Schatten droht, dich zu zerstören.«
Christophers Schwur besiegte die Zweifel der letzten Tage und verbannte die Dunkelheit, die nach mir griff, wärmte meine Seele und half mir, zurückzufinden. Mein dämonisches Erbe würde nie völlig verschwinden, doch gegen die Liebe dieses Racheengels auch niemals gewinnen.
Kapitel 6
Traumdämonen
T rotz einer dicken Decke war mir eisig kalt. Aron hatte mich in den blauen Stuhl in meinem Zimmer im Schloss der Engel verfrachtet und beobachtete, wie ich vor mich hin bibberte – besser, er hätte Christopher zurückgeholt. Coelestin hatte ihn weggeschickt. Wohin, wusste ich nicht. Nur eines hatte Aron mir verraten: Christopher war der zuständige Racheengel des Zentralen Kreises, was in etwa Europa und einem Teil Asiens entsprach. Venedig gehörte nicht dazu und seit neuestem auch nicht mehr das Schloss der Engel. Solange ich hier ausgebildet wurde, stand die Schule unter Naguals Aufsicht. Sollte Christopher das Verbot übertreten, würde Nagual ihn dafür zur Rechenschaft ziehen, während bei einem Verstoß meinerseits Aron dafür geradestehen musste.
»Aron, es … es tut mir leid, dass du in die Sache mit reingezogen wurdest«, begann ich meine Entschuldigung.
»Das muss es nicht. Als mir der Vorschlag unterbreitet wurde, eventuell den nächsten Racheengel ausbilden zu dürfen, wusste ich, was auf mich zukommt«, erklärte Aron. »Und anscheinend sollte ich dir jetzt ein wenig engelfrei geben. Vielleicht wird dir im Internat schneller wieder warm.« Dafür, dass ich ihn vor einer knappen Stunde am liebsten in meiner Schattengestalt angegriffen hätte, klang Aron erstaunlich gefasst – ich dagegen stand noch immer unter Schock.
»Du willst mich in die Menschenwelt schicken, obwohl ich gerade fast zu …« Aron ließ mich nicht ausreden.
»Ja, ich will dich im Moment wirklich viel lieber im Internat als hier im Schloss haben. Ich bin mir sicher, dass du heute keine weiteren Dummheiten mehr anstellen wirst.«
Ich schluckte. Aron war überzeugt, dass ich meinen Schattenengel im Griff hatte – so viel Optimismus besaß ich nach meinem Ausraster im Augenblick nicht.
»Abgesehen davon, könnte dir ein wenig Vertrauen zu deinem Tutor sicher nicht schaden«, unterstrich Aron seine Anordnung. Der letzte Satz, bei dem sich seine Augenbrauen beinahe berührten, ließ wieder dieses hässliche Gefühl in mir auftauchen, das immer dann erschien, wenn ich an Sanctifer dachte.
Hatte Aron doch mitbekommen, dass ich mich aus dem Apartment in Venedig geschlichen hatte? Verunsichert suchte ich in seinem Gesicht nach einer Antwort. Aron bemerkte es und verbarg seine Gedanken hinter einem Lächeln. Ich verwarf meine Befürchtung. Aron wusste gar nichts, sonst hätte er mich schon längst zur Rede gestellt!
Das grässliche Gefühl blieb. Die Angst, Christopher zu verlieren, wuchs unaufhörlich. Noch immer hatte ich keine Lösung für mein Sanctifer-Problem gefunden. Nur über eines war ich mir sicher: Ich allein war für meine Fehler
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