Fluch der Leidenschaft
wie ein Donnerschlag. »Niemand? Alle sind tot?«
Er nickte und schenkte ihr einen Becher Ale ein. »Warbrick hat ganze Arbeit geleistet.«
»Wie Ihr auch!«, fuhr sie ihn zornig an. »Ich habe gesehen, wie erbarmungslos Ihr diesen Mann getötet habt, der auf Eure Gnade angewiesen war!«
»Wie ich auch«, stimmte er zu und fuhr fort: »Ihr werdet natürlich für die Familien der Toten einige Vorkehrungen treffen.«
»Natürlich«, sagte sie, obwohl sie daran bislang noch gar nicht gedacht hatte. Es waren einfach zu viele Dinge, um die man sich kümmern musste.
»Ich habe im Moment eher mehr Männer, als ich brauche«, fuhr FitzRoger fort. »Gegen Entgelt würde ich Euch zwanzig Mann für eine gewisse Zeit zur Verfügung stellen. Zwanzig Mann ist für eine Burg wie Carrisford eine angemessene Garnison; sie sollte, von einer langen Belagerung abgesehen, jeden Angriff abwehren können.«
Imogen warf ihm einen argwöhnischen Blick zu. Er wirkte höflich-gelassen und war absolut undurchschaubar. Wenn seine Männer die Burg bewachten, war sie praktisch eine Gefangene in ihrem eigenen Heim, aber was blieb ihr anderes übrig?
Bis zum Eintreffen des Königs oder seines Gesandten war sie FitzRoger auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Ihre einzige Hoffnung war, dass er es vielleicht doch gut mit ihr meinte – und dass er sich anders als Warbrick nicht mit dem König überwerfen wollte.
»Danke, Lord FitzRoger. Ich nehme Euer Angebot an, bis anderweitige Vorkehrungen getroffen werden können.«
Er nickte. »Diese Burg ist eigentlich uneinnehmbar. Irgendjemand muss Warbrick Zugang verschafft haben.«
»Ich weiß«, pflichtete sie ihm bei. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, wer so etwas getan haben sollte.«
»Möglicherweise einer der Wachleute. Wenn ja, dann hat Warbrick dieses Problem für Euch gelöst.«
»Unmöglich«, widersprach Imogen. »Sie standen alle seit Jahren im Dienst meines Vaters. Ich kann nicht glauben, dass einer plötzlich zum Verräter wurde.«
Er setzte sich, schnitt Brot und Käse auf und reichte ihr etwas davon. »Lady Imogen, die Berichte der Überlebenden lassen vermuten, dass der größte Teil der Garnison vor der Invasion betäubt war.«
»Dann muss es jemand aus der Burg gewesen sein. Ich kann es kaum glauben …«
»Waren irgendwelche Fremde hier?«
»Nein«, antwortete sie, ein Stück Käse kauend. »Wir hatten in den letzten Tagen keine Reisenden bei uns aufgenommen. Nur einige Mönche aus der Abtei Glastonbury. Und sobald bekannt war, dass mein Vater im Sterben lag, wurde die Burg verschlossen.«
Sie bemerkte, wie FitzRoger und de Lisle einen Blick austauschten und Letzterer sich daraufhin entfernte. »Mönche!«, rief sie. »Das kann nicht sein!«
»Ihr habt eine bemerkenswert hohe Meinung von der Religion, Lady Imogen. Doch so eine Kutte ist schnell übergestreift.«
»Aber sie waren schon vor der Erkrankung meines Vaters hier. Und sie hatten auch Tonsuren, ich bin sicher.«
»Und waren die Tonsuren auch so braun wie ihre Gesichter?«
»Das weiß ich nicht«, räumte sie ein. Es war in Carrisford nie notwendig gewesen, Fremde eingehend zu begutachten oder die guten Absichten der Leute anzuzweifeln. Zumindest hatte sie dergleichen nie mitbekommen. Sie blickte zu ihm auf. »Heißt das etwa, ich darf von jetzt an nie mehr jemandem vertrauen?«
Er riss ein Stück Brotrinde ab, drehte es, anstatt es zu essen, jedoch zwischen den Fingern. »Zumindest solltet Ihr lernen, Euer Vertrauen nicht uneingeschränkt zu gewähren, Lady Imogen. Einen guten Anfang habt Ihr ja schon gemacht«, fügte er mit einem trockenen Lächeln hinzu, »indem Ihr mir misstraut.« Nun endlich nahm er einen Bissen Brot zu sich. »Ihr müsst heiraten, Demoiselle, dann wird Euer Gemahl sich um all diese Dinge kümmern.«
Jetzt kommt es, dachte Imogen und versteifte sich. »Ich will nicht mehr, dass sich ständig andere um mich kümmern, Lord FitzRoger.«
»Ihr wollt Eure Schlachten selbst schlagen?«, fragte er skeptisch. »Eure Soldaten selbst drillen? Eure Hinrichtungen selbst durchführen? Verrätern eigenhändig Informationen entlocken?«
Wie schaffte er es bloß immer wieder, sie als dumm dastehen zu lassen? Imogen funkelte ihn wütend an. »Dann werde ich eben den König bitten, mir einen Gemahl zu besorgen.«
Er lachte laut. »Henry wird entzückt sein. Es gibt viele, denen er zu Dank verpflichtet ist.«
Das wusste Imogen bereits, aber was war die Alternative? Keiner ihrer Freier sagte ihr
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