Fluch der Leidenschaft
worden waren. Die arme Seele war wie von Sinnen in der Gegend herumgelaufen, und eines Tages hatte man sie dann im Mühlteich gefunden. Dieser scheinbare Ausweg stand für Imogen nicht zur Debatte; auf sie waren zu viele Menschen angewiesen. Jegliche Vorstellung von Verlust beiseiteschiebend, machte sie sich in Gedanken daran, ihr Heim wieder zu ordnen.
Sie nahm sich vor zu fragen, ob Bruder Patrick hier war, denn wahrscheinlich würde sie noch Salbe für ihre Füße brauchen. Das erinnerte sie an Lancasters Arzt. Was war eigentlich aus ihm geworden? Er hatte sich in Spanien ausbilden lassen und war wesentlich belesener als FitzRogers Mönch.
Ihre Nachforschungen ergaben, dass der Arzt während der Plünderung verschwunden war, doch man hatte keine Leiche gefunden, und deshalb nahm man an, dass er mit seinen Dienern hatte fliehen können.
Also bat Imogen noch einmal Bruder Patrick um Hilfe. Der Mönch versah die wunden Stellen mit Salbe und empfahl ihr erneut, so lange wie möglich nicht zu laufen. »Ich verstehe Eure Ungeduld, Lady Imogen«, sagte er, »aber jede Belastung der Füße verzögert die Heilung. Und wenn Ihr gar in den Burghof gehen solltet, fürchte ich eine Infektion.«
Imogen musste akzeptieren, dass es ihr Schicksal war, noch einige Tage im Bett zu bleiben, doch sie versuchte, ihre Verwaltungsarbeit dennoch fortzuführen.
Sie fand heraus, dass eine Handvoll ihrer Bediensteten sich bei der Erstürmung der Burg versteckt hatten und so mit dem Leben davongekommen waren und dass FitzRogers Männer ihnen nun bei wichtigen Aufgaben zur Hand gingen. Imogen schickte ihre jungen Burschen in die nächsten Dörfer, um bekannt zu machen, dass Carrisford wieder ihrem Befehl unterstand und alles seinen gewohnten Gang gehe. Die Leute sollten an ihre angestammten Plätze zurückkehren und die Dorfvorsteher Vorräte abliefern.
Carrisford war mit seinen Untertanen immer gut umgegangen, und sie wusste, dass die Menschen ihr nun zu Hilfe kommen würden.
Die Boten teilten ihr mit, der Wein in den Kellern sei ausgegossen worden; Lord FitzRoger – oder der Herr, wie sie ihn beharrlich nannten – habe bereits welchen aus Cleeve kommen lassen, und von dort werde noch mehr angeliefert.
Nachdenklich notierte sie auf Wachstafeln, was sie ihm schuldig war. Sobald sie wieder laufen konnte, würde sie einen Weg finden, unbemerkt in die geheime Schatzkammer zu gelangen und genügend Münzen herauszuholen, um ihn zu bezahlen.
In der Schuld dieses Mannes zu stehen war gefährlich.
Sie wollte auch einen Teil ihres Schmucks holen. Schließlich musste er einmal erkennen, dass Imogen von Carrisford nicht eine verarmte Bittstellerin war, sondern eine bedeutende Lady.
Das Getreide war zum Glück nur aus den Speichern gekippt worden, sodass ein großer Teil davon eingesammelt werden konnte und bereits wieder Brot gebacken wurde. Die eingelagerten Bratenstücke waren jedoch alle verschwunden. Es gab aber wieder Fleisch, denn das abgeschlachtete Vieh war bereits zum Verzehr weiterverarbeitet worden.
Dann erfuhr sie, dass FitzRoger auf die Jagd gegangen sei, was bei den vielen toten Tieren, die sie hatten, kaum notwendig schien. Bei dem Gedanken, dass er sich amüsierte, obwohl es so viel zu tun gab, schürzte Imogen verächtlich die Lippen.
Nichtsdestotrotz war sie überrascht, welche Wirkung das Wissen, dass er nicht in der Burg war, auf sie ausübte. Sie befürchtete sofort einen neuerlichen Angriff. Irgendwie machte seine Abwesenheit sie zwar freier, aber sie fühlte sich auch verletzlicher. Was, wenn Warbrick zurückkäme?
Sie hielt mit ihren Aufzeichnungen inne und kaute nervös an ihrem Griffel. Freiheit oder Sicherheit. Sie musste sich entscheiden.
Ich wähle die Freiheit, sagte sie sich entschlossen, fragte sich aber gleichzeitig, ob der geheime Eingang verschlossen worden war. Das war eine Aufgabe, die FitzRoger delegieren konnte; dann würde er die Geheimgänge nicht selbst betreten müssen. Sie nahm sich vor, dies zu überprüfen. Der Gedanke, dass diese Gänge nun nicht nur bekannt waren, sondern womöglich auch noch jedermann offen standen, machte sie sehr nervös.
Ihre kostbaren Gewürze waren offenbar verloren, und auch das fein gearbeitete Kästchen, in dem sie sie aufbewahrt hatte. Ihre Kleidertruhen – samt der Stoffe aus Seide, golddurchwirktem Taft und anderen feinen Geweben – waren in den Burghof gekippt und in den Schmutz getreten worden. Verfluchter Warbrick. Eines Tages würde sie ihn tot sehen
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