Fluch der Nacht: Roman
öffnen, den die Spinnen für sie herausgeschnitten hatten.
Kriecht dreimal um das Eis und bindet es, lasst das Böse in den Boden sinken! Kleine Spinnen aus kristallinem Eis, haltet eure Netze, haltet sie gut fest! Werft sie schützend um das Eis, damit ich die erreichen kann, die schlafen!
Die Spinnen zogen ihre Fäden durch alle Bohrlöcher, zogen sie fest an und vor und zurück, bis sie große Eisstücke losgesägt hatten. Unermüdlich fuhren sie damit fort, bis sie die Drachen freigelegt hatten, und dann bohrten sie noch mehr Löcher um die Körper, bis die Drachen endlich aus ihrem eisigen Gefängnis glitten.
Noch immer hart gefroren, schlugen die Drachenkörper krachend auf dem Boden auf.
19. Kapitel
L ara kauerte sich weinend neben die Tanten, legte jeder eine Hand auf den eiskalten Nacken und flüsterte mit gesenktem Kopf: »Ich werde euch erlösen, wie ihr mich erlöst habt. Ihr seid jetzt nicht mehr seine Gefangenen.« Vielleicht kümmerte es die Tanten im Tod nicht mehr, aber Lara kümmerte es sehr wohl. Xavier sollte nie wieder etwas von ihnen haben – in keiner Form.
»Lara! Sieh dir das Netz an«, sagte Natalya, die um die Ecke der Wandnische herumspähte und ehrfürchtig und bekümmert die beiden großen Drachenkörper anstarrte.
Die Eisspinnen hatten einen Massenexodus begonnen und krabbelten, so schnell sie konnten, über die dicke Wand aus Eis. Das Netz, das sie so fest verwoben hatten, hing in der Mitte schon ein wenig durch und schien von Sekunde zu Sekunde lockerer zu werden. Und zu alldem schwoll das Ächzen und Knacken im Eis zu einem schon fast wütenden Brüllen an.
»Du hast es geschafft«, sagte Vikirnoff anerkennend. »Du hast deine Tanten gefunden und befreit.«
Nicolas umkreiste stirnrunzelnd die beiden Körper und warf Vikirnoff einen Blick zu. »Das sind ja wirklich Drachen.«
»Das wusstest du doch schon«, sagte Lara. »Ich hatte es dir erzählt. Schließlich warst du bei mir, als ...« Nach einem Blick auf Vikirnoff und Natalya, die ebenfalls um die beiden Drachen herumgingen, brach sie ab und strich liebevoll über die Schuppen, deren einst schillernd grüne Farbe jetzt trüb und bräunlich war.
»Aber sie sind zu einem Teil doch Magierinnen. Wie können sie sich da verwandeln?«, überlegte Nicolas laut.
»Du hast gesagt, ich könnte es auch«, erinnerte Lara ihn.
»Ja, das das stimmt. Du kannst es aber nur so lange, wie ich das Bild für dich festhalte. Das Drachensucher-Blut in dir ist stark, doch ...«
Er sah Vikirnoff an, der neben den beiden Frauen niederkniete. »Versuch dich mit ihnen zu verständigen, Natalya.«
»Und wie soll ich das tun?«
»Lara müsste es können«, sagte Nicolas. »Sie hat unzählige Male auf telepathischem Weg mit ihnen gesprochen. Versuch sie über den Pfad zu erreichen, den ihr früher benutzt habt, Lara. Ruf sie zu dir.«
»Du kannst doch nicht ernsthaft glauben, dass sie noch am Leben sind. Sieh sie dir doch an. Sie sind steif gefroren, dünn und farblos.«
»Sie sind keine Magierinnen«, sagte Nicolas plötzlich, »sondern durch und durch Karpatianerinnen. Wie das kommt, kann ich nicht sagen, aber sie hätten nicht all diese Jahre tiefgefroren im Eis überleben können, wenn sie keine Karpatianerinnen wären – und du hast mir erzählt, sie wären immer in Eis gehalten worden, als du ein Kind warst. Magier würden unter diesen Bedingungen sterben. Ich weiß nicht, wie ich das übersehen konnte. Wie wir alle das übersehen konnten. Wie konnten sie in den Körpern von Drachen gefangen gehalten werden?«
»Du meinst, sie leben noch?«
»Die Möglichkeit besteht«, bejahte Nicolas.
Das Eis hörte nicht auf zu protestieren, knackte und ließ Eiszapfen auf sie herunterregnen, aber auch ganze Platten brachen ab und zerschellten auf dem Höhlenboden. Das entnervende Wassertröpfeln wurde lauter.
Lara ordnete ihre Gedanken und suchte den geistigen Kontakt zu ihren Tanten. Der Pfad war ihr noch sehr vertraut. Als Kind hatte sie sich daran geklammert, weil er das einzig Stabile in einer Welt des absoluten Wahnsinns gewesen war. Mit einer Mischung aus Liebe und Hoffnung versuchte sie, eine Verbindung herzustellen. Tante Bronnie. Tantchen Tatijana. Könnt ihr mich hören?
Sie verspürte eine leise Regung in ihrem Bewusstsein, wurde kreidebleich und stieß einen unterdrückten Schrei aus. »Ich habe sie gespürt! Sie sind da. Ich konnte sie fühlen.«
Nicolas sah grimmig zu Vikirnoff hinüber und deutete auf das Spinnennetz, das
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