Fluch der Nacht: Roman
rollte. Der blaue Drache erhob sich in die Luft.
Wir haben nicht viel Zeit. Flieh, Tatijana, solange du noch kannst, drängte Bronnie ihre Schwester, während sie sich zwischen Razvan und Xavier und Tatijana und Lara warf.
Lara konnte sehen, dass beide Drachen sehr geschwächt waren. Ihre sonst immer so schöne Hautfarbe verblasste bereits. Die Anstrengung, die beiden Magier in Schach zu halten, forderte ihren Tribut von ihnen. Und nun, da sie auf Tatijana saß, erkannte Lara, dass die Tanten halb verhungert waren, ja, es schon jahrelang gewesen sein mussten. Xavier erlaubte ihnen nur das absolute Minimum an Nahrung, um zu verhindern, dass sie genügend Kraft gewannen, um ihre Macht zu nutzen. Tatijana war die Schwächste der beiden, und deswegen versuchte Bronnie, ihrer Schwester Zeit zu verschaffen, die Oberfläche zu erreichen und zu fliehen.
Als Lara sich umblickte, sah sie Razvan auf den roten Drachen zukriechen. Bronnie schlug wild mit den Flügeln, um Xavier am Boden und von seinem mächtigen Stab entfernt zu halten.
Pass auf! Lara versuchte, ihre Tante noch zu warnen, aber die Warnung kam einen Herzschlag zu spät.
Razvan stieß das zeremonielle Messer in die Drachenbrust. Tatijana schrie auf, und der rote Drache brach zusammen.
Raus! Lauft, ich werde sie aufhalten, solange ich kann. Tatijana spreizte ihren Flügel, damit Lara über ihn zu einem Mauervorsprung über der Eiskammer gelangen konnte.
Geh mit ihr, Tatijana!, flehte Bronnie.
Ja, komm mit, Tante!, bettelte auch Lara.
Tatijana schüttelte den Kopf. Ich verlasse meine Schwester nicht. Geh, Kleines! Lauf und vergiss diesen Ort! Sieh dich nicht mehr um! Sei frei und werde glücklich!
Lara klammerte sich an der Eiswand fest. Sie musste immer noch aus dem Labyrinth von Tunneln einen Weg zur Oberfläche finden. Ein letztes Mal blickte sie nach unten auf das einzige Zuhause, das sie je gekannt hatte. Xavier hatte sich inzwischen aufgerappelt und streckte gebieterisch die Hand aus. Sein Stab zögerte, aber dann flog er durch den Raum zu ihm.
»Bleib ruhig liegen, oder du wirst sterben«, befahl er Bronnie. »Du Narr«, fauchte er dann Razvan an.
Doch der rote Drache kämpfte weiter und verlor Unmengen von Blut, die den eisbedeckten Boden färbten.
Xavier richtete seinen Stab auf den blauen Drachen. »Gib Ruhe, oder ich töte deine Schwester.«
Bronnie hörte augenblicklich auf, sich zu bewegen, und blieb keuchend auf dem blutdurchtränkten Eis am Boden liegen. Der blaue Drache schmiegte sich an seine Schwester und fuhr mit seinem langen Hals und seiner Zunge über sie, um sie zu retten.
Lara presste sich die Hand ganz fest vor den Mund, um nicht in Tränen auszubrechen.
Geh, bevor ihr Opfer umsonst war, befahl Tatijana ihr.
Und Lara rannte los.
1. Kapitel
L ass uns von hier verschwinden, Lara«, sagte Terry Vale. »Es wird schon dunkel, und hier ist nichts zu finden.« Offensichtlich nicht erstaunt darüber, dass sie keinen Eingang zu einer Eishöhle gefunden hatten, schulterte er seine Ausrüstung und schickte sich zum Gehen an. Da bislang noch niemand die Höhle in den Karpaten entdeckt hatte, bezweifelte er ohnehin sehr stark, dass es sie gab.
Lara Calladine überging Terrys Einwände und suchte weiter den Berghang nach einer Spalte ab, die auf das Vorhandensein einer Höhle hindeuten könnte. Sie irrte sich nicht – diesmal nicht. Beim Betreten der oberen Berghänge hatte sie heute gleich die elektrisierende Empfindung großer Macht verspürt. Dies war der Ort. Jetzt holte sie tief Luft und drückte eine Hand auf ihr wild pochendes Herz. Dies war der Ort, den sie ihr Leben lang gesucht hatte. Diesen Energiefluss würde sie überall erkennen. Sie kannte jede Verflechtung, jeden Zauber, und ihr Körper absorbierte die sich sammelnde Macht, sodass ihre Venen kribbelten und ihre Nervenenden brannten von der elektrischen Energie, die sich in ihr zusammenbraute.
»Ich kann Terry nur zustimmen«, sagte Gerald French, das dritte Mitglied ihres Höhlenforschungsteams. »Das ist ein gruseliger Ort. Wir waren schon auf vielen Bergen, aber der hier mag uns nicht«, erklärte er mit einem nervösen Auflachen. »Hier oben wird es langsam haarig.«
»Was für ein altmodischer Ausdruck!«, murmelte Lara, während sie ihre Hand an der Felswand entlangbewegte, ohne sie jedoch zu berühren, um nach Manifestationen von Macht zu suchen. Die beiden Männer waren nicht nur ihre Kletterpartner, sondern auch ihre engsten Freunde. Trotzdem wünschte sie in
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