Fluch der Nacht: Roman
belastete, belastete der seine sie. Sie drang noch tiefer in sein Bewusstsein ein und gab ihm die Erlaubnis, sie von ihren Kindheitserinnerungen fortzuziehen. Nicolas zögerte keine Sekunde lang, denn ihre unerwartete Kapitulation war ein Geschenk für ihn. Schnell umfing er ihren Geist mit seinem und versetzte sie in die Gegenwart zurück. Er konnte jetzt voll und ganz verstehen, warum ihre Tanten und ihr Vater ihre Erinnerungen blockiert hatten. Nicolas hatte sie selbst mit ihr durchlebt und war noch immer zutiefst erschüttert und ganz krank davon.
Er hielt Lara in den Armen und blickte auf ihr Gesicht herab, atmete für sie beide und rief leise ihren Namen. »Komm zurück zu mir, o jelä sielamak. Licht meiner Seele, Lara, komm zu mir!«
Blinzelnd öffnete sie die Augen, die feucht von Tränen waren. Ihr Gesicht war eine Maske der Erschöpfung, ihre Lippen zitterten. Ihre Finger rutschten ab von seinem Arm, als sie sich an ihm festzuhalten versuchte. Lara hob die Hand und starrte sie, entsetzt über das Blut daran, mit großen Augen an.
9. Kapitel
N icolas schaute Lara in die Augen, die starr wie Glasaugen geworden waren. Wie Puppenaugen, die nichts sahen. Er hatte ihr Bewusstsein dicht an die Oberfläche gebracht, umschloss ihren Geist auch dort noch immer und dachte nicht daran, sie loszulassen – aber sie hatte sich nicht zum Leben bekannt. Weil sie sich nicht zu ihm bekennen wollte.
Ich kann es dir nicht verübeln, Lara, doch ich bitte dich um eine zweite Chance. Komm zurück zu mir!
Sie zuckte zusammen, innerlich wie äußerlich, und schloss die Augen. Lara sah in ihm den Feind, einen Mann, der sie gefangen halten und ihr Blut nehmen würde. Einen Mann, den es nach ihrer Lebensessenz dürstete, der sich förmlich danach verzehrte. Nicolas wusste, dass sie so dachte, und so innig, wie sie miteinander verschmolzen waren, und so ehrlich, wie er zu ihr sein wollte, konnte er all das auch nicht bestreiten. Natürlich würde es ihn nach ihrem Blut verlangen. Sie war seine Seelengefährtin, und ein wesentlicher Bestandteil ihrer Bindung – und ein noch größerer der körperlichen Liebe – war der Blutaustausch. Er war eine Bekräftigung ihrer Liebe und des Sich-zueinander-Bekennens, nicht nur in Herz und Geist und Seele, sondern auch auf körperlicher Ebene.
Nicolas drückte seine Stirn an ihre. Wir werden einen Weg finden, um unser beider Bedürfnisse zu befriedigen. Wir müssen nur diese Bindung eingehen.
Er war ein Mann, der sich immer jedem seiner Schritte sicher war, der in jeder Situation wusste, was zu tun war, doch plötzlich war er aus dem Gleichgewicht und unsicher, was das Richtige war. Noch nie zuvor in seinem Leben, nicht einmal als Junge, war er sich hilflos oder verwundbar vorgekommen, und deshalb hatte er Lara oder das Trauma, mit dem sie hatte fertigwerden müssen, nicht verstehen können.
Er konnte sie nur wie jetzt in den Armen halten, sie wiegen wie ein Kind und sich völlig machtlos fühlen. Ich habe keine Worte, um das wiedergutzumachen .
Sie war still, zu still. Nicolas war der Verzweiflung nahe. Mein Leben war so anders als das deine, Lara. Ich hatte liebevolle Eltern und vier starke Brüder, die immer zu mir standen. Ich habe stets enorme körperliche Kraft und Willenskraft besessen. Meine Fähigkeiten waren denen vieler anderer überlegen, und ich glaube, ich habe schon von jungen Jahren an eine sehr unschmeichelhafte Arroganz entwickelt. Ich konnte immer meinen Willen durchsetzen, egal, was ich auch wollte.
Er strich mit den Lippen über ihre Lider und spürte den Hauch einer Bewegung, die wie das leise Flattern eines Schmetterlingsflügels war. Hörte sie ihm zu? Hatte er eine Chance, sie zu sich zurückzubringen? Oder würde sie für immer in einer Halbwelt gefangen bleiben, wo er sie nicht wirklich erreichen konnte?
Diesmal war ich mit dir dort und habe selbst erlebt, wie es ist, sich klein und hilflos vorzukommen und von Verzweiflung übermannt zu werden.
Nicolas schwieg einen Moment und wartete mit angehaltenem Atem auf eine Reaktion von ihr. Lara war sich seiner bewusst, sie war ihm nahe – so nahe, dass sein Instinkt ihn dazu drängte, sie zu packen und sie den Rest des Weges ins Land der Lebenden zu tragen. Aber er bezwang diese dominante Seite seiner Natur und wartete geduldig wie ein Jäger.
Dann regte sich etwas in seinem Geist. Ich wollte nicht, dass du das erlebst. Laras Lider flatterten wieder, doch diesmal schlug sie die Augen auf. Kummer,
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