Fluch, Der: Roman
es verursachte grauenvolle Träume, aber es erhöhte die Konzentrationsfähigkeit gewaltig. »Entschuldige, ich hab' gerade geträumt.« »Ich habe gesagt, ich danke dir für die herrlichen Tage.« Sie lächelte und berührte kurz seinen Arm. Es waren herrliche Tage gewesen - zumindest für Heidi.
Zweifellos hatte Heidi das alles hinter sich gelassen – die Zigeunerin, die Anhörung vor Gericht, auf Grund derer die Anklage fallengelassen wurde, den alten Zigeuner mit der abfaulenden Nase. Für Heidi war das alles nur noch eine unangenehme Erinnerung, so wie Bülys Freundschaft mit dem Spaghettifressenden Gauner aus New York. Aber sie hatte etwas anderes auf der Seele; ein kurzer Seitenblick bestätigte das.
Das Lächeln war verschwunden, sie sah ihn jetzt ernst an.
Um die Augen zeigten sich winzige Fältchen.
»Bitte«, sagte er herzlich. »Mit dir immer, Liebling.«
»Und wenn wir nach Hause kommen...«
»Werde ich mich wieder auf dich stürzen!« rief er mit falscher Begeisterung, brachte sogar ein lüsternes Lachen zustande. Aber er glaubte nicht, daß er ihn hochkriegen würde, nicht einmal, wenn die Dallas Cowgirls in von Frederkk's in Hollywood entworfener Reizwäsche an ihm vorbeimarschierten. Das hatte nichts damit zu tun, wie oft sie sich in Mohonk geliebt hatten; es war diese verdammte Weissagung. DÜNNER. Selbstverständlich hatte die Waage das überhaupt nicht angezeigt – es war seine Einbildung. Aber es war ihm nicht wie eine Einbildung vorgekommen, Scheiße; es war so real gewesen wie die Schlagzeile der New York Times. Und eben dieses Gefühl von Wirklichkeit war das Schreckliche daran, denn DÜNNER war nicht irgend jemandes Vorstellung von seinem Schicksal. Selbst IHR SCHICKSAL IST ES, BALD GEWICHT zu VERLIEREN änderte nichts an diesem Gefühl. Die Autoren dieser Schicksalssprüche befaßten sich mehr mit langen Reisen oder Besuchen von alten Freunden.
Ergo, er hatte eine Halluzination gehabt.
Ja, so ist es.
Ergo, er war vermutlich dabei, den Verstand zu verlieren.
Na hör mal, ist das fair?
Fair genug. Die Kontrolle über die eigene Einbildungskraft zu verlieren, war keine gute Sache.
»Wenn du willst, kannst du dich auf mich stürzen«, sagte Heidi, »aber mir ist es erst mal wichtiger, daß du dich auf unserer Badezimmerwaage wiegst...«
»Hör auf, Heidi! Ich habe ein bißchen abgenommen, keine große Sache!«
»Ich bin sehr stolz darauf, daß du abgenommen hast, Billy, aber wir sind die letzten fünf Tage immer zusammengewesen, und ich will verdammt sein, wenn ich weiß, wie du das machst.«
Diesmal blickte er sie länger an, aber sie weigerte sich zurückzublicken; sie starrte mit über der Brust verschränkten Armen geradeaus durch die Windschutzscheibe.
»Heidi...«
»Du ißt genausoviel wie immer. Vielleicht sogar mehr.
Die Bergluft muß deinen Motor richtig in Schwung gebracht haben.«
»Warum drumherumreden?« fragte er, und bremste ab, um vierzig Cents in den Schlitz an der Rye-Mautstelle zu werfen. Er hatte die Lippen zu dünnen, weißen Linien zusammengepreßt, sein Herz schlug zu schnell, und plötzlich war er wütend auf sie. »Du willst mir doch eigentlich sagen, daß ich ein dickes, fettes Mastschwein sei. Sag es doch geradeheraus, wenn du willst, Heidi. Ich kann es schon ertragen.
Was soll der Quatsch?«
»Das habe ich nicht gemeint!« rief sie. »Warum willst du mir weh tun, Billy? Warum, nach all den schönen Tagen, die wir da oben verbracht haben?«
Diesmal mußte er nicht zur Seite sehen, um zu wissen, daß sie den Tränen nahe war. Ihre zitternde Stimme sagte genug. Sie tat ihm leid, aber das änderte nichts an seiner Wut. Und an der Angst, die dahinterstand.
»Ich wollte dich nicht kränken«, sagte er und umfaßte das Lenkrad so fest daß seine Knöchel weiß hervortraten. »Das will ich nie. Aber es ist doch eine gute Sache, wenn ich an Gewicht verliere, Heidi, warum willst du immer weiter auf dem Thema herumreiten?«
»Es ist nicht immer eine gute Sache!« schrie sie so laut, daß er aufschreckte und der Wagen leicht schlingerte. »Es ist nicht immer eine gute Sache, und das weißt du genau!«
Jetzt weinte sie wirklich und durchwühlte ihre Handtasche in ihrer halb ärgerlich machenden, halb gewinnenden Art auf der Suche nach einem Tempotuch. Er reichte ihr sein Taschentuch, und sie betupfte sich damit die Augen.
»Du kannst sagen, was du willst, du kannst gemein zu mir sein, du kannst mich auch ins Kreuzverhör nehmen, wenn du willst, Billy,
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