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Fluch, Der: Roman

Fluch, Der: Roman

Titel: Fluch, Der: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ganzen Abend nicht mehr.

5. Kapitel: 221
    Sonntag, Montag, Dienstag.
    Billy hielt sich absichtlich von der Waage im oberen Bad fern. Er aß seine Mahlzeiten mit herzhaftem Appetit, obwohl er keinen großen Hunger mehr hatte, was in seinem Erwachsenenleben nur selten vorgekommen war. Er versteckte seine Kräcker-und Kekstüten nicht mehr hinter den Konservendosen in der Speisekammer. Am Sonntag, während der beiden hintereinandergesendeten Spiele der Yankees und der Red Socks, verspeiste er eine ganze Packung Ritz-Kräcker mit Käse und Pepperoni. Am Montagvormittag, während der Arbeit, kaute er eine Tüte Karamelbonbons und am Nachmittag eine Tüte Kartoffelchips - eines von beiden oder vielleicht auch die Kombination führte zu entsetzlichen Blähungen, die von nachmittags um vier bis neun Uhr abends anhielten. Noch ehe die Nachrichten vorbei waren, marschierte Linda aus dem Fernsehzimmer und verkündete, daß sie erst zurückkäme, wenn Gasmasken ausgeteilt würden. Billy lächelte schuldbewußt, verließ aber seinen Platz nicht. Seine Erfahrung mit Blähungen hatte ihn gelehrt, daß es überhaupt nichts nützte, zum Furzen hinauszugehen. Der Geruch hing einem trotzdem an. Es war so, - als wären unangenehme Dinge mit unsichtbaren Händen an einem befestigt. Sie folgten einem überallhin.
    Später am Abend, als sie sich übers Kabelfernsehen And Justice for All ansahen, aßen Heidi und er fast eine ganze Quarktorte auf.
    Am Dienstag bog er auf dem Heimweg bei Norwalk vom Connecticut Turnpike ab, um beim Burger King ein paar Cheeseburger mitzunehmen. Er fing an, sie genauso runterzuessen, wie er alles verzehrte, wenn er fuhr, gedankenlos mampfend, Bissen für Bissen hinunterschlingend ...
    Als er Westport hinter sich gelassen hatte, kam er zur Besinnung.
    Sein Gesicht schien sich für einen Augenblick lang von seinem Körper zu trennen - es war kein Denken, kein Reflektieren, sondern eine Bewußtseinsspaltung. Plötzlich fiel ihm seine Übelkeit wieder ein, die er in der Nacht, in der er und Heidi aus Mohonk zurückgekommen waren, auf der Waage im Badezimmer verspürt hatte. Er stellte fest, daß sich eine völlig neue Dimension seines Bewußtseins ihm eröffnet hatte.
    Es fühlte sich so an, als hätte er eine Art Astralpräsenz hinzugewonnen – einen kognitiven Begleiter, der ihn eingehend studierte. Und was konnte dieser Begleiter sehen?
    Wohl eher etwas Groteskes als etwas Schreckliches. Einen beinahe siebenunddreißigjährigen Mann mit Bally-Schuhen an den Füßen und weichen Bausch-&-Lomb-Kontaktlinsen in den Augen, einen Mann in einem dreiteiligen Anzug, der gute sechshundert Dollar gekostet hatte. Einen übergewichtigen, sechsunddreißigjänrigen Durchschnittsamerikaner, kaukasischer Typ, hinter dem Steuer seines Oldsmobile Ninety-Eight, Baujahr 1981, der einen riesigen Hamburger verschlang, während die Mayonnaise und lapperige Salatblätter auf seine anthrazitfarbene Anzugweste tropften. Man konnte darüber lachen, bis man in Tränen ausbrach. Oder bis man schrie.
    Er warf den Rest des zweiten Hamburgers aus dem Fenster und betrachtete angeekelt und leicht verzweifelt die Mischung aus schleimiger Sauce und Bratensaft an seinen Fingern. Und dann tat er das unter diesen Umständen einzig Vernünftige: Er lachte. Und er versprach sich: Nie wieder. Die Fresserei hat ein Ende.
    Als er an diesem Abend vor dem Kamin saß und das Wall Street Journal las, kam Linda zu ihm, um ihm einen Gutenachtkuß zu geben. Sie lehnte sich ein bißchen zurück und sagte plötzlich: »Daddy, langsam siehst du aus wie Silvester Stallone.«
    »Oh, Himmel«, antwortete Halleck und verdrehte die Augen. Beide lachten.
     
    Billy Halleck entdeckte, daß seine Wiegeprozedur allmählich die Form eines primitiven Rituals angenommen hatte. Wann das passiert war? Er wußte es nicht mehr. Als Kind war er einfach ab und zu mal auf die Waage gesprungen, hatte einen beiläufigen Blick auf den Zeiger geworfen und war wieder heruntergestiegen. Aber zu irgendeinem Zeitpunkt in der Periode, als er sich von 190 Pfund zu seinem jetzigen Gewicht hinaufgearbeitet hatte, das, so unwahrscheinlich das auch klang, fast ein Zehntel einer Tonne ausmachte, hatte er mit diesem Ritual begonnen.
    Ritual, so ein Quatsch, sagte er sich. Eine Gewohnheit. Ja, eine Gewohnheit, das ist alles. Basta.
    Ritual, antwortete eine Stimme in einer tieferen Bewußtseinsschicht flüsternd, unwiderruflich. Er war Agnostiker und hatte seit seinem neunzehnten Lebensjahr keine

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