Fluch, Der: Roman
preiszugeben.
»Enkelt!« befahl einer der älteren Männer scharf und legte dem Jungen die Hand auf den Arm.
»Bodde hart«
»Just det – han och Taduzl«
Der junge Mann betrachtete Billy eingehend, der jetzt in ihren Kreis getreten war, – völlig fehl am Platz mit seinem viel zu weiten Sportjackett und seinen Stadtschuhen. Der Junge zeigte keine Furcht, nur einen Ausdruck vorübergehender Überraschung und – Billy hätte es schwören können
– Mitleid. Dann ging er weg und blieb nur unterwegs einmal kurz stehen, um einem der Hunde einen Tritt zu verpassen und kurz »Enkeltl« zu brummen. Der Hund fiepte einmal, und dann waren alle drei still.
Jetzt holt er den alten Mann, dachte Billy.
Er blickte in die Runde. Die Unterhaltung war verstummt.
Sie musterten ihn mit ihren dunklen Zigeuneraugen, und keiner sagte ein Wort. So muß es sein, wenn du wirklich deine Hose im Gerichtssaal verlierst, dachte er, aber das stimmte natürlich überhaupt nicht. Jetzt, da er tatsächlich vor ihnen stand, war seine Gefühlsverwirrung verschwunden. Die Angst war noch da und auch der Zorn, aber beide schlummerten irgendwo tief in seinem Innern.
Und da ist noch etwas. Sie sind nicht überrascht, dich hier zu sehen ... und es wundert sie auch gar nicht, wie du jetzt aussiehst.
Dann stimmte es also; dann entsprach alles der Wahrheit.
Keine psychische Anorexie; keine exotische Krebsart. Billy glaubte, daß diese ruhigen, dunklen Augen selbst Michael Houston überzeugt hätten. Sie wußten, was mit ihm geschehen war. Und sie wußten, wie es enden würde.
Sie starrten sich gegenseitig an, die Zigeuner und der dünne Mann aus Fairview, Connecticut. Und plötzlich, völlig ohne Grund, fing Billy an zu lächeln.
Die alte Frau im Liegestuhl stöhnte auf und machte schnell das Zeichen gegen den bösen Blick in seine Richtung.
Schritte näherten sich, und die Stimme einer jungen Frau war zu hören. Sie sprach hastig und zornig. »Vad sä han! Och plotsligt brast han dybbuk, Papa! Aiskling, grat inte! Snalla dybbuk! Ta mig Mamma\«
Taduz Lemke trat barfüßig und in einem grauen Nachthemd, das bis an seine knochigen Knie reichte, in den hellen Schein des Feuers. Neben ihm, in einem weichen Baumwollnachthemd, das sich bei jedem Schritt sanft um ihre runden Hüften schmiegte, lief Angelina Lemke.
»Ta mig Mamma! Ta mig ...« Da entdeckte sie Billy mitten im Kreis, musterte seine schlackernde Sportjacke, seine ausgebeulten Hosen, deren hintere Taschen schon unter dem Jackensaum heraushingen. Sie schleuderte ihre Hand in seine Richtung und drehte sich dann wieder zu dem alten Mann um mit einer Geste, als wolle sie ihn angreifen. Die anderen sahen passiv und gelassen zu. Im Feuer explodierte ein Kiefernzapfen. In winzigen Spiralen sprühten Flinken auf.
»Ta mig Mamma! Va Dybbuk! Ta mig inte till mormor! Ordol Vu'derlak!«
»Sa hon lagt, Gina«, erwiderte der alte Mann. Seine Stimme und sein Gesicht strahlten gelassene Ruhe aus. Mit seiner gekrümmten Hand strich er ihr über das glatte, fließende Haar, das jetzt bis zur Hüfte hinabfiel. Bisher hatte Taduz Lemke Billy nicht einmal angesehen. »Vi ska stanna.«
Einen Augenblick lang sanken ihre Schultern ein, und in dem Moment kam sie Billy trotz ihrer üppigen Rundungen sehr jung vor. Dann fuhr sie wieder auf ihn los, und die Wut in ihrem Gesicht flammte auf, als hätte jemand Benzin in Feuer gegossen.
»Du verstehst unsere lingo nicht, Mister?« fauchte sie ihn an.
»Ich habe zu altem Papa gesagt, daß du die alte Mamma ge tötet hast. Ich habe gesagt, du bist ein Teufel und wir sollten dich töten!«
Der Alte legte ihr die Hand auf den Arm. Sie schüttelte ihn ab und rannte auf Billy los. Ihre nackten Füße huschten haarscharf am Feuer vorbei. Ihr Haar flatterte hinter ihr her.
»Gina, verkligen gladl« rief jemand besorgt, aber sonst sagte niemand etwas. Der gelassene Ausdruck auf dem Gesicht des Alten blieb unverändert. Er beobachtete sie wie ein nachsichtiger Vater sein eigenwilliges Kind.
Sie spuckte Billy ins Gesicht – eine enorme Menge warmen weißen Speichels, als ob sie den ganzen Mund vollgehabt hätte. Billy spürte ihn auf seinen Lippen. Er schmeckte nach Tränen. Sie blickte mit ihren riesigen schwarzen Augen zu ihm hoch, und trotz allem, was inzwischen passiert war, trotz allem, was er inzwischen verloren hatte, merkte er, daß er sie immer noch begehrte. Und sie merkte es auch, das spürte er ihre dunklen Augen blickten fast befriedigt.
»Wenn
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