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Fluch, Der: Roman

Fluch, Der: Roman

Titel: Fluch, Der: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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es sie zurückbringen würde«, sagte er zu ihr, »dann dürften Sie mich so lange anspucken, bis ich darin ertrinke.« Seine Stimme kam überraschend klar und deutlich.
    »Aber ich bin kein dybbuk. Weder ein dybbuk, noch ein Dämon, noch ein Ungeheuer. Was Sie hier sehen ...« er hob beide Arme, so daß der Feuerschein einen Augenblick durch seine ausgebreitete Jacke leuchtete, wodurch er wie eine übergroße, aber ausgesprochen unterernährte Fledermaus wirkte »... ist alles, was ich bin.«
    Einen Augenblick lang sah sie verunsichert, beinahe ängstlich aus. Auch wenn ihre Spucke immer noch seine Wange herunterlief, war die Zufriedenheit aus ihrem Blick gewichen, und dafür war Billy recht dankbar.
    »Gina!« Es war Samuel Lemke, der Jongleur. Er stand plötzlich neben dem Alten und schnallte den Gürtel seiner Jeans zu. Dazu hatte er sich ein T-Shirt mit einer aufgedruckten Fotografie von Bruce Springsteen übergeworfen.
    »Enkelt men tillrackligtl«
    »Du bist ein Mörder, ein Bastard!« schrie sie Billy an und ging den Weg zurück, den sie gekommen war. Ihr Bruder versuchte, den Arm um sie zu legen, doch sie schüttelte ihn ab und marschierte in die Dunkelheit. Der Alte drehte sich um und blickte ihr nach. Dann endlich richtete er seine Augen auf Billy Halleck.
    Einen Moment lang starrte Billy nur auf das eitrige Loch in seinem Gesicht, doch dann wurden seine Augen unwillkürlich von den Augen des Alten angezogen. Hatte er mal gedacht, daß dies die Augen des Alters wären? Sie waren noch etwas mehr als das ... und auch etwas weniger. Er entdeckte Leere in ihnen, und diese Leere offenbarte ihre fundamentale Wahrheit. Nicht das oberflächliche Wissen, das auf ihnen glänzte wie Mondschein auf einem dunklen Teich. Sondern Leere, so steif und vollkommen, wie es der Raum zwischen den Galaxien sein mochte.
    Lemke winkte Halleck mit dem krummen Zeigefinger, und wie im Traum ging Billy langsam um das Lagerfeuer herum auf den alten Mann in seinem dunkelgrauen Nachthemd zu.
    »Kannst du Rom verstehen?« fragte der Alte ihn, als Billy direkt vor ihm stand. Sein Ton war fast intim, doch seine Stimme hallte deutlich durch das stille Lager, in dem sonst nur das Knacken des trockenen Holzes im Feuer zu hören war.
    Billy schüttelte den Kopf.
    »In Romani nennen wir einen wie dich skummade igenom, was soviel wie ›weißer Mann aus der Stadt‹ bedeutet.«
    Er lächelte und zeigte dabei nikotingelbe Zahnstümpfe.
    Das dunkle Loch, das einst seine Nase gewesen war, dehnte und spannte sich.
    »Aber es hat auch die Bedeutung seines Klanges - ignoranter Abschaum.« Endlich ließen seine Augen Billy los; er schien jegliches Interesse an ihm verloren zu haben. »Geh jetzt wieder fort, weißer Mann aus der Stadt. Du hast hier nichts zu suchen. Wir haben nichts mit dir zu tun. Wenn wir etwas miteinander gehabt haben, dann ist es erledigt. Geh dahin zurück, woher du gekommen bist.«
    Er drehte sich um und wollte weggehen.
    Einen Augenblick stand Billy mit offenem Mund da und merkte undeutlich, daß der Alte ihn hypnotisiert haben mußte – er hatte das so leicht fertiggebracht wie ein Farmer seine Hühner zum Einschlafen bringt, indem er ihnen den Kopf unter die Flügel steckt.
    ERLEDIGT? schrie eine Stimme plötzlich in ihm auf. Die ganze Fahrerei, die ganze Herumsucherei, all die Fragen, die nächtlichen Alpträume, all diese Tage und Nächte, das sollte damit ERLEDIGT sein?
    Und du willst einfach hier rumstehen und kein Wort dazu sagen? Willst dich einfach einen Ignoranten Abschaum nennen und ihn dann ruhig zu Bett gehen lassen?
    »Nein, es ist nicht erledigt«, rief er mit lauter, rauher Stimme.
    Jemand schnappte überrascht nach Luft. Samuel Lemke, der den Alten auf dem Weg zum Campingbus stützte, blickte erstaunt zurück. Nach einer Weile drehte auch Taduz Lemke sich um. Sein Gesicht zeigte Überdruß und ein wenig Belustigung. Aber für einen winzigen Moment glaubte Billy auch einen Anflug von Staunen darin gelesen zu haben.
    In seiner Nähe griff der Junge, der Billy zuerst entdeckt hatte, wieder unter die Weste nach seinem Revolver.
    »Sie ist sehr schön«, rief Billy. »Gina.«
    »Hält's Maul, weißer Mann aus der Stadt!« zischte Samuel Lemke. »Ich dulde nicht, daß du den Namen meiner Schwester in den Mund nimmst!«
    Billy beachtete ihn gar nicht. Er sah nur Taduz Lemke an.
    »Ist sie deine Enkelin? Deine Urenkelin?«
    Der Alte musterte ihn aufmerksam, als wüßte er noch nicht, ob etwas dahintersteckte oder

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