Fluch der Toten: Roman (German Edition)

schlurfte mehrere Schritte voran und verstreute die Pappe und den Müll zu seinen Füßen.
    Eine einstmals feine Seidenkrawatte, nun faltig und mit Fetzen getrockneten Fleisches bedeckt, hing lose an seinem Hals. Sein früher weißes Oberhemd hatte an der Schulter einen Riss und war mit dunkelrotem Blut befleckt. Ähnliche Flecken bedeckten seine Ärmel bis zu den Ellbogen. Sie deuteten auf eine lange zurückliegende Fressorgie hin. Die Anzughose des Mannes war in einem bemerkenswert guten Zustand, wenn man von den Löchern an den Knien absah, auf denen er tagsüber im Schatten gekniet hatte. Seine Lederschuhe mussten dringend geputzt werden.
    Früher war er vermutlich ehrgeizig gewesen. Vielleicht hatte er auch Träume gehabt.
    Jetzt hatte er nur noch Instinkt.
    Der Infizierte blickte in Richtung Morgensonne, stöhnte und schwenkte erneut die Arme, bevor er der Helligkeit wieder den Rücken zuwandte. In der Ferne erspähte er ein anderes schattiges Plätzchen, fühlte sich angezogen und setzte sich langsam in Bewegung, um es zu erreichen. Er trat gegen den Bordstein und stolperte, fing sich aber an der Ecke des Lasters und setzte seinen Weg fort.
    Der Infizierte wankte wie eine makabre Marionette in die Mitte der Straße. Seine Beine zuckten, seine Schultern wiegten sich, sein Kopf schien kaum mit dem Körper verbunden zu sein, so frei baumelte er hin und her. Doch wich er nie von seinem Kurs ab. Er dachte nur an sein Ziel. Für alles andere reichte sein Geist nicht mehr aus.
    Mangel an Aufmerksamkeit war bestimmt auch der Grund, aus dem das tote Ding sich nicht die Mühe machte, sich beim Gehen umzuschauen. Hätte es sich umgeschaut, hätte es die beiden Bewaffneten gesehen, die ganz in der Nähe auf einem Hausdach hockten.
    Einer der Männer stützte den Lauf seiner Waffe auf dem Dachrand ab und zielte sorgfältig.
    Das Krachen des Schusses wurde von den Gebäuden zurückgeworfen und zerriss die morgendliche Stille.
    Einen Häuserblock weiter schrak die schwarzköpfige Meise erneut zusammen und machte sich wieder davon, fest entschlossen, sich ein stilleres Territorium zu suchen.
    Der Kopf des Infizierten klatschte aufs Pflaster; ein sauberes Loch war in seiner Schläfe zu sehen. Der Schädel, seit einem halben Jahr im Zustand des Faulens, platzte auf. Brackiges Blut und Hirnmasse traten aus und bildeten um die Gestalt herum eine kleine Pfütze. Sie lag still da und verstreute bakterielles Leben auf den Boden.
    Auf dem Dach richtete der Schütze sich auf, bewegte das Gewehrschloss und warf die leere Patronenhülse über den Rand aus. Sie drehte sich im Flug und landete klirrend auf dem Gehsteig, wo sie sich einem ständig größer werdenden Haufen leerer Messinghüllen zugesellte. Der Schütze drückte eine neue Patrone in die Kammer, ohne den Blick von dem frisch erledigten Watschler zu wenden.
    » Ein astreiner Schuss, Krueger! « , sagte der zweite Mann, der den Infizierten durch einen Taschenfeldstecher begutachtete. » Der ist hin. «
    » Danke. « Der Scharfschütze kniete sich nieder und ließ den Lauf seiner Waffe auf dem erhobenen Rand des Daches ruhen. » Der arme Sack ist genau an uns vorbeigegangen. Das kommt auch sehr selten vor. Er war der Erste seit einer Woche, der auf fünfzig Meter an uns rankam. «
    » Tja, die meisten Häuser hier haben wir gesäubert, deswegen halten sich wohl in der Nachbarschaft kaum noch welche auf « , sagte der Mann mit dem Feldstecher. » In der Innenstadt sieht es sicher anders aus. « Er griff nach einem vor ihm stehenden, verschlossenen olivgrünen Tornister und kramte darin herum. Er entnahm ihm eine verbeulte Nikon-Kamera, überprüfte sie und machte eine Aufnahme des Opfers – mit dem Sonnenaufgang im Hintergrund. » Das wird ’n schönes Bild, wenn ich es je entwickelt kriege. «
    Krueger schaute ihm bei seiner Tätigkeit zu. » Schon mal daran gedacht, ’ne Dunkelkammer einzurichten, Denton? « Er unterdrückte ein Gähnen. Die beiden Männer hatten die ganze Nacht Wache geschoben; ihre Schicht war fast zu Ende. » Ist ja nicht so, dass uns das Material dazu fehlt. Oder der Raum. «
    » Stimmt. « Denton nickte und legte die Kamera in den Tornister zurück. » Vielleicht versuche ich es mal, wenn wir mit der Umzäunung fertig sind. «
    Das Dach, auf dem die Männer hockten, war geräumig und flach und versorgte sie mit einer 360-Grad-Aussicht auf das ganze Stadtviertel. Von der Treppenhaustür abgesehen war das Dach mit vier langen, schräg stehenden