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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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sprach, machte es ihr ein seltsames, fast kitzelndes Vergnügen, John Gowers zuzuhören. Und immer, wenn er eine erwartungsvolle Pause machte und sie »Ja?«, »Wirklich?«, »Tatsächlich!«, »Aha!« oder einfach nur »Hmhm« sagen musste, fiel ihr an der Veränderung ihrer Gesichtsmuskulatur auf, dass sie die ganze Zeit lächelte, obwohl gar nichts lustig war.
    Glücklicherweise saß er hinter ihr und konnte nur ihren Rücken, aber nicht dieses Lächeln sehen. Deborah war immer ein ernsthafter Mensch gewesen und fand es ungehörig, ohne Grund vor sich hin zu lächeln. Sie versuchte, es zu unterdrücken, aber wenn sie nicht scharf darauf achtgab, stellte sie beim nächsten fälligen »Hmhm« fest, dass sie schon wieder lächelte. Oder immer noch.
    War es die Art, wie er sprach? Er kam nicht aus dem Süden, man hörte das. Kein »I reckon« statt »I guess«, nicht die gemütvollen Verschleifungen, die die Sprache der Südstaatler  – zumindest für die Ohren der Südstaatler  – so musikalisch machten. Kein überflüssiges, aber doch so melodisches »y« in Wörtern, die mit einem K-Laut begannen. Er sagte also tatsächlich »car« statt »cyah«, »going« statt »gwyne« oder »nothing« statt »nuff’n« und artikulierte gelegentlich sogar ein »r«, für das man im Süden überhaupt keine Verwendung hatte, außer vielleicht am Anfang einiger Wörter  – deren Gebrauch man deshalb vermied.
    Andererseits war in seiner Stimme nichts Großspuriges wie bei den Yankees und auch nichts Lächerliches oder Plumpes wie bei den Franzosen oder Deutschen, wenn sie glaubten, akzentfreies Englisch zu sprechen.
    »Sind Sie Engländer?«, fragte Deborah spontan und bereute die Frage sofort, weil sie so offensichtlich nichts mit dem zu tun hatte, worüber er sprach, was immer es war.
     
    Hatte er sie gelangweilt?
    Er wusste, dass die Grundlagen der Ars Memorativa, der Gedächtniskunst, nicht gerade das Aufregendste waren, was die Menschheit ersonnen hatte. Man musste sich, wie bei so vielen Dingen, durch eine ziemlich harte Schale beißen, um an die Frucht zu gelangen, also die wirklich spannenden Möglichkeiten eines geschulten Gedächtnisses zu erkennen. Deshalb hatte er vorgehabt, nur das Nötigste zu erzählen, stellte aber irgendwann, wie jeder wirklich fähige Spezialist, besorgt fest, dass nicht er über sein Thema, sondern sein Thema durch ihn sprach. Seit mindestens einer Viertelstunde sagte er also Sachen, die
er eigentlich gar nicht sagen wollte, überlegte »in den freien Winkeln« seines Gehirns angestrengt, wie er aus diesem Dilemma herauskommen könnte, und war froh über jede kleine Äußerung, mit der sie verriet, dass sie trotz allem bei ihm war.
    Er kannte solche Verlegenheiten sonst nicht; die meisten Frauen in seinem Leben waren Huren gewesen, und bei Huren konnte er, ohne eine andere Konversation als kleine, aber deutliche Komplimente, seine Hände sprechen lassen. Dorothy Simpson hatte ihn anfangs einmal in ein Gespräch über Shelley und die englische Romantik verwickelt, von dem und der er so viel verstand wie Dorothy von der Takelung einer Dreimastbark. Damals war er frech genug gewesen, ein Gedicht von Shelley schlicht zu erfinden, und als sie arglos darauf einging und sagte, gerade dies sei eines ihrer Lieblingsgedichte und ob er es nicht rezitieren könne, hatte er gegrinst, sie ein böses Mädchen genannt und auf den Mund geküsst.
    »Hört man das immer noch?«, fragte er, froh, dass er nun nicht mehr über Simonides von Keos, Cicero und die Gedächtnissysteme der Humanisten sprechen musste.
     
    »Woher kommen Sie in England?«
    Deborah wusste nichts über England, außer dass es dort Könige und Lords gab, die einst der Meinung gewesen waren, dass Amerika ihr Eigentum sei. Und dass es Krieg gegeben hatte, als die Amerikaner demgegenüber die viel einleuchtendere Ansicht vertraten, dass ein Land denen gehören sollte, die dort leben. Da sie noch immer nicht richtig lesen konnte, reichten gerade ihre historischen Kenntnisse ansonsten nur bis zur schmerzhaften Empfindung eines Mangels.
    Sie verdankte ihr diesbezügliches Wissen im Wesentlichen den abolitionistischen Versammlungen, die sie im freien Norden regelmäßig besuchte, und an diesen störte sie das religiöse Gehabe stärker, als sie je sagen konnte. Im Namen des Herrn hatte man sie befreit respektive sie in ihrer Selbstbefreiung unterstützt; aber im Namen des Herrn war sie auch versklavt gewesen, und beides zusammen machte den

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