Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
sagte John. »Auf etwa zwanzig Yards genau!«
Er hatte schon so lange nicht mehr angegeben, dass er diese glänzende Gelegenheit einfach nicht auslassen konnte, sagte er sich. Aber als sich die junge Frau jetzt zu ihm umdrehte und ihm einen halb fragenden, halb wissenden Blick zuwarf, wurde ihm klar, dass er sie vor allem beeindrucken wollte, und es war ihm peinlich, dass sie das wusste.
»Weiter!«, befahl er schnell, damit sie wieder nach vorn sehen musste.
Erst als sie einige Minuten schweigend weitergepaddelt waren, fragte Deborah: »Und wie machen Sie das?«
76.
Eine der erfolgreichsten Lügen des 19. Jahrhunderts war die Propagandaerfindung, dass der Beruf des Soldaten ehrenhaft sei. Sie wurde notwendig, als die entstehenden Nationalstaaten die allgemeine Wehrpflicht einführten, ohne die sie ihre Kriege nicht hätten finanzieren können. Nun sträubt sich der gesunde Menschenverstand – leider nicht immer, aber doch gelegentlich – gegen Schwachsinn. Dass man durch den Zufall der Geburt Eigentum des Staates wird, in dem sie stattfindet, ihm Dienst, Gehorsam und letztlich sein Leben schuldet, ist natürlich Schwachsinn. Um Menschen dennoch dazu zu bringen, für fremde Interessen und den Vorteil der Mächtigen zu kämpfen, zu töten und zu sterben, sind neben Maßnahmen der Repression also gewisse Kunstgriffe nötig, mit denen man ihr Denken manipuliert.
Die Uniform, hundert Jahre zuvor in all ihrer Farbenpracht erfunden, um den Soldaten das Desertieren zu erschweren, wurde zum Ehrenkleid der Nation ernannt. Auch der gemeine Mann durfte sich darin wie ein Gockel fühlen. Rituale der Männlichkeit, Kameradschaft und Tradition schlugen die Vernunft in die Flucht, Orden, Rangabzeichen und Marschmusik machten gerade die einfachen Leute besoffen.
Einem erstarkenden Bürgertum die bedingungslose Unterordnung unter mehrheitlich adlige Schwachköpfe und vor allem die archetypische Sklaventugend des Gehorsams als Zeichen besonderer gesellschaftlicher Verantwortung zu verkaufen erwies sich jedoch noch immer als schwierig; zumal zwischen der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und des allgemeinen, freien und gleichen Wahlrechts meist einige Jahrzehnte vergingen.
Für die besitzende Klasse blieb der Soldatenberuf allen konservativen Lippenbekenntnissen zum Trotz also ein verachtenswerter. Weniger, weil er das historisch immer gewesen war, und mehr, weil Soldaten nicht nur zum Töten und Sterben erzogen werden, sondern ihre eigentliche Aufgabe in der massenhaften Zerstörung fremden Eigentums finden. Dieses Sakrileg, die Verletzung ihrer heiligsten Prinzipien machte der Bourgeoisie das Soldatentum gleichermaßen verdächtig und verächtlich. Bis heute versuchen jedenfalls die Bessergestellten, ihre eigenen Kinder von der Soldatenehre nach Möglichkeit fernzuhalten. Zerstören, töten und vor allem natürlich sterben sollen immer die anderen. Die Armen.
Dass die Lügen von Ehre, Fahne und Vaterland auch bei den unteren Klassen auf beschämend geringen Widerstand trafen, liegt an den hierarchischen Aufstiegsmöglichkeiten, die das Militär auf seinen untergeordneten Befehlsebenen bietet. Jeder Dummkopf, jeder Dreckskerl kann durch Glück, Geduld und Willfährigkeit in die angenehme Lage kommen, andere Menschen plötzlich »unter sich« zu haben. Mit diesem ständig lockenden Versprechen, irgendwann vielleicht einen kleinen Fetzen Macht in die Hände zu bekommen, korrumpierte das System das Individuum.
Und wie bei dritten, vierten, fünften Adelssöhnen schon seit Jahrhunderten galt nun bald auch in Bürgerkreisen die Faustregel: Wer die Fähigkeiten für einen zivilen Beruf vermissen lässt, kann es immer noch als Soldat zu etwas bringen. Wer es als Soldat zu nichts bringt, kann immer noch Militärpolizist werden,
und nur wer auch dazu nicht in der Lage ist, muss versuchen, als Wärter im Militärgefängnis sein Auskommen zu finden.
Es war das trostloseste Leben der Welt am trostlosesten Ort der Welt, nämlich ihrem gerade noch bewohnbaren Ende. Jenseits der Chatham Islands lagen nur noch die Wasserwüsten des Südpazifiks, gefolgt von den Eiswüsten der Antarktis. Etwa alle sechs bis acht Wochen, manchmal aber auch nur alle drei, vier Monate traf ein sehnsüchtig erwartetes Versorgungsschiff aus Wellington ein, brachte Vorräte und Gerätschaften, die auf der Insel nicht produziert werden konnten – und das waren eine Menge –, sowie gelegentlich Bücher und Zeitschriften, die selbst auf
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