Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
Wanganui; ein Wahnsinnsritt von hundertfünfzig Meilen in achtundvierzig Stunden. Am 14. traf er per Schiff in Wellington ein, im Handgepäck das Gerücht, dass Titokowaru mit zweihundert wilden Maorikriegern die gesamte Taranaki-Region wüst lege. Am 15. brachten die Zeitungen entsprechend stark verfälschte Berichte, und am 16. setzte in den weißen Städten und Siedlungen des Südens eine wahre Flut von Eheschließungen ein.
Frauen jeden Alters und aller Konstitutionen, jedweden Leumunds, selbst dreizehnjährige Mädchen und in Ehren ergraute Witwen sahen sich plötzlich den erotischen und finanziellen Lockungen stattlicher junger Herren ausgesetzt. Denn obwohl eine sinnreiche und noch immer nachdenkenswerte Verordnung über das Einberufungswesen festsetzte, dass die Dienstpflicht eines Mannes fünfundzwanzig Meilen jenseits seines Heimatorts automatisch endete, wurden doch bevorzugt die unverheirateten Herren der Schöpfung zur Miliz eingezogen; was jetzt auch die eingefleischtesten Junggesellen veranlasste, ihre Positionen hinsichtlich des Ehestands neu zu definieren.
Eine Vereinigung sitzen gebliebener alter Jungfern hätte also nichts Sinnvolleres tun können, als irgendwo einen Krieg anzuzetteln, um dem bärtigen Teil der Bevölkerung Beine beziehungsweise Freiersfüße zu machen. Es gab in der Männergesellschaft der jungen Kolonie aber ohnehin nur relativ wenig unverheiratete Frauen, und so hatte McDonnell am Ende des Monats rund zweitausend Mann, Konstabler, Milizen und Freiwilligenregimenter wie die Wellington Rifles , unter Waffen – gegen die maximal sechzig Krieger, die dem Häuptling der Ngaruahine in die offene Rebellion gefolgt waren.
Zwar bedurfte gut die Hälfte seiner Soldaten noch einer gründlichen Ausbildung, zwar mussten die Kupapa, die mit den Weißen verbündeten Maorikämpfer, noch rekrutiert werden, aber McDonnell konnte immerhin mit Nachschub an Männern und Material sicher rechnen und befahl Anfang Juli die Anabasis der Patea Field Force auf die Waimate Plains und nach Camp Waihi. Der Aufmarsch seiner Truppen vollzog sich jedoch nur langsam, da er kleine Garnisonen in jedes Dorf, jedes Fort auf seinem Weg legen ließ.
James Fagan oder Bradley, wie er sich selbst bereits manchmal nannte, hatte geglaubt, seine Versetzung zu von Tempskys Truppe sei eine vorübergehende Schikane aufgrund seiner Desertion. Obwohl weder lange noch gern Soldat, hatte er anfangs sogar ein widerwilliges Verständnis für diese Maßnahme gehabt. Er hatte Mist gebaut und musste nun eben eine Weile in die Schule des härtesten Hundes gehen, den es in den neuseeländischen Streitkräften gab. Er ertrug das, wie schlechte Soldaten und schlechte Schüler vergleichbare Situationen immer ertragen haben und ertragen werden: wie ein Gewitter, das irgendwann vorüber sein wird, wenn man den Kopf lange und tief genug einzieht.
Er versuchte sogar, durch Dienstbeflissenheit und peinlich genaue Befolgung aller Befehle wenn schon nicht das Wohlwollen, so doch die Gleichgültigkeit seines Vorgesetzten zu erringen. Aber von Tempsky war unnachgiebig. Seine eigenen Männer
wunderten sich bereits, warum er den Jungen derart auf dem Kieker hatte. Dann aber nahmen sie die Sündenbockrolle des Rekruten Bradley dankbar in ihre eigenen Verhaltensmuster auf.
Von Tempsky konnte den Mann nicht leiden? Dann sollte man sich möglichst nicht neben den Mann stellen. Eine Proviantkiste war verschwunden? Hat die nicht Bradley getragen?! Eine Brotration war verschimmelt? Bradley hat sie im Regen liegen lassen. Bradley konnte tun, was er wollte – es war jedes Mal falsch, und allmählich bekamen seine Augen den Ausdruck eines gehetzten Kaninchens, das kein Loch mehr findet. James Fagan wäre jetzt gerne desertiert und dabei sogar größere Risiken eingegangen als beim ersten Mal, hätte es vielleicht sogar alleine versucht; aber seine Angst vor dem Land, durch das sie marschierten, war immer ein bisschen größer als die vor seinem Vorgesetzten und seinen Kameraden.
Sie bewegten sich auf einem manchmal nur wenige Meilen breiten Streifen offenen Geländes zwischen der rauen, regengepeitschten See und dem düsteren schwarzen Rand eines unheimlichen Waldes, der seine Feindschaft gegen Säge, Hacke und Pflug in schweren, lastenden Nebelschwaden auszuschwitzen schien. In diesem Wald steckten wilde Menschen, blutrünstige Ungeheuer, die jeden Weißen, der sich auch nur in den Schatten der Bäume wagte, auffressen würden. Die Botschaft in
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