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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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großen Ulysses S. Grant ein halbes Jahr lang Vicksburg belagert. Aber nie hatte er bei einem Mann so viel natürliche Autorität gespürt wie in dem Moment, als Te Kooti Arikirangi Te Turuki das Deck der Rifleman betrat.
    Sicher, Grant hatte bei seinen erbarmungslosen Angriffen auf die Truppen der Konföderierten das Leben Zehntausender Soldaten geopfert, Billy Sherman auf seinem berühmten Marsch zum Meer eine Schneise von Tod und Verwüstung durch die Südstaaten geschlagen. Aber stets war es die militärische Notwendigkeit gewesen, die sie antrieb, und der eine war darüber zum Alkoholiker, der andere schwer depressionskrank geworden. Te Kooti hingegen war der ernsthaften Überzeugung, als Abgesandter Gottes zu handeln, und betrachtete deshalb sowohl das
Leben seiner Gefolgsleute als auch das seiner Feinde als ein ihm überlassenes, als sein persönliches Eigentum. Seine Kommandogewalt beruhte nicht auf einer zeitweise übernommenen militärischen oder politischen Pflicht, sondern war ein Recht, das er wahrnahm. Das machte ihn zum gefährlichsten Menschen, dem John Gowers bis dahin begegnet war.
    Die Garnison überwältigt, das Schiff genommen, mit einem Schlag zur unbeschränkten Autorität geworden  – obwohl Te Kooti in diesem Augenblick viel zu tun und noch mehr zu bedenken hatte, fiel ihm sofort auf, dass einer der durchnässten, auf dem Boden hockenden Gefangenen anders war. Höflich entschuldigte er sich bei den Männern für die erlittene Unbill und schickte sie unter Bewachung in ihre Quartiere, damit sie sich trockene Sachen anziehen konnten.
    »Sie«, sagte Te Kooti, als Gowers sich erhob, und hielt ihn mit diesem einen Wort davon ab, den anderen unter Deck zu folgen. »Wer sind Sie?«
    »John Gowers«, antwortete der Investigator militärisch knapp. »Amerikaner. Passagier nach Otago.«
    Te Kooti musterte ihn, die trotz seiner nassen Kleider lässige, energiegeladene Haltung, die seltsame Soldatenmütze, das ein wenig abgezehrte Gesicht und vor allem die extrem wachen Augen. »Sie sind kein Goldsucher«, sagte er nach wenigen Sekunden. Er hatte genügend Goldsucher gesehen auf ihrem Weg zur Coromandel Range, und viele von ihnen waren ebenso drahtig und auf dem Sprung gewesen, von einem inneren Feuer getrieben. Aber etwas an dem Mann, der vor ihm stand, war dennoch anders, etwas Entscheidendes: Sein Blick, sein Verlangen, war nicht nach unten und auf die Erde gerichtet, sondern auf etwas am Horizont. Te Kooti spürte es, denn er war, auf ganze andere Weise, von ähnlicher Art.
    »Was wollen Sie in Otago?«
    Auch Gowers fühlte instinktiv, dass es keinen Sinn haben würde, diesen Mann anzulügen, und er antwortete ruhig: »Ich
jage einen Mörder. Einen, der in Melbourne zwei Kinder und eine Frau getötet hat.«
    »Ein langer Weg«, stellte Te Kooti respektvoll fest. »Aber Sie sind kein Polizist!« Einen Moment lang glaubte er, den Mann dieser Frau in Melbourne und den Vater jener Kinder vor sich zu haben. Aber dafür brannte die Rache in seinen Augen wiederum nicht hell genug. »Sind Sie ein Detektiv?«
    »Investigator«, entgegnete Gowers. »In Amerika sagen wir: Investigator. Ich ermittle im Auftrag der Eltern.« Das stimmte schon lange nicht mehr, und Gowers fühlte, dass sein Gegenüber es spürte.
    »Was werden Sie mit dem Mörder tun?«, fragte Te Kooti und setzte damit als selbstverständlich voraus, dass der Amerikaner seinen Mann früher oder später finden würde.
    »Ich werde ihn töten«, erwiderte Gowers spontan, aber ohne Hass, sondern mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der auch Te Kooti sich zum Herrn über Leben und Tod machte. Es war dieser Punkt, in dem die beiden Männer einander als ebenbürtig erkannten.
    »Tut mir leid, dass ich Ihre Pläne durchkreuzen muss, Mr. Gowers«, sagte Te Kooti aufrichtig. »Aber dieses Schiff fährt nicht mehr nach Otago.«
    »Ich weiß«, erwiderte Gowers, trat jetzt ohne Angst und ohne von irgendjemandem daran gehindert zu werden an die Reling und sah zum regenverhangenen Ufer hinüber. Hinter dem grauen Kiesstrand erkannte man eben noch die an den feuchten Boden geduckten Hütten der Whakarau. Durchnässte Menschen, Männer, Frauen und Kinder eilten zwischen diesem trostlosen Lager und den unablässig pendelnden Booten hin und her, und durch das Gewimmel hindurch sah Gowers plötzlich ein anderes Lager, eine andere Ebene.
    Die Gefangenen von Andersonville hatten keine Hütten gehabt. Manchmal kleine Bretterverschläge, bloße Kisten, in

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