Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
vor sich selbst, weil aus seiner Erschütterung so deutlich hervorging, dass sein glattes Gesicht ihm mehr bedeutet hatte, als er sich zugestand. Es war eine peinliche Erkenntnis. Das Mädchen weinte noch immer, aber sie beruhigte sich schneller als der Mann.
Sie legte sich neben ihn, ihren kleinen Kopf auf seine zitternde Brust, hörte den wilden Schlag seines starken, unruhigen Herzens
und begann, leise zu singen. Es war eines der religiösen Lieder, die der Arikirangi ihnen beigebracht hatte, und wenn Gowers die Worte verstanden hätte, hätte er vor Lachen wieder zu bluten begonnen, so absurd war die Situation. Heni merkte, dass er immer wieder nach seinem Gesicht tastete, und um ihn daran zu hindern, sich auf diese Weise wehzutun, legte sie irgendwann seine Hände auf ihren Körper, als sei sie bereits erwachsen, und fing an, seine Wunden zu lecken.
Gowers hatte noch nie ein Kind auf diese Weise im Arm gehalten und wusste nicht, was ihn stärker irritierte, was ihn sanfter, zärtlicher stimmte: ihr schmaler Rücken in seiner Hand oder die weiche kleine Zunge, die ihm den Schmerz aus Gesicht und Seele leckte. Als Heni kein Blut mehr schmeckte, hörte sie auf, sah sich die Tätowierung aufmerksam an und sagte dann zum ersten Mal etwas, das Gowers verstand: »Sterne und Strömungen, die Wolken und den Wind kenne ich.«
Waren das die Zeichen, die man in sein Gesicht geschnitten hatte?
122.
Deborahs Erfahrungen mit Männern waren kurz und brutal. Ihr Herr hatte sie vergewaltigt, einige Driver , weiße und schwarze Sklavenjäger, hatten sie vergewaltigt. Der etwa fünfzigjährige Haussklave, den ihre Herrin in Vicksburg zu ihrem Mann bestimmt hatte, hatte sie geküsst und angefasst, war aber, betrunken von Maisschnaps und Glück über seine schöne junge Frau, in der Hochzeitsnacht eingeschlafen, ehe er sie vergewaltigen konnte. Einige Male hatte sie weiße Männer wie Dean Stanton verführt und teilnahmslos zugesehen, wie sie auf ihr, in ihr einschliefen, wenn das Betäubungsmittel zu wirken begann.
Einmal hatte ein freigelassener Schwarzer, den sie auf einer Abolitionistenversammlung kennengelernt hatte, ein Mann in einem feinen
Anzug, der lesen und schreiben konnte, versucht, sie zu verführen, betrunken zu machen, und war grob geworden, als seine schönen Worte bei Deborah nicht verfingen. Er hatte sie geschlagen, und sie hatte zurückgeschlagen, und seine Verblüffung darüber, vielleicht auch ein wenig das Messer, das sie plötzlich in der Hand hielt, hatte die peinliche Situation beendet. Jason hatte sie einmal geküsst, rau, unbeholfen geküsst, und sie hatte ihn gewähren lassen, bis sie die Gier in seinen Augen sah. Das waren Deborahs Erfahrungen.
Egal, was sie sagten und taten, irgendwann wurden Männer zu Tieren, die sich auf sie werfen, ihr wehtun, sie wehrlos machen wollten. Manchmal, selten, träumte sie von zärtlichen Berührungen und erwachte beschämt, verwirrt, in seltsamen Stellungen. Sie glaubte, dass solche Träume sie schwach machten, und lernte, ihr Fleisch zu befriedigen, um die Träume fernzuhalten. Denn niemals, nie wieder wollte Deborah schwach oder wehrlos sein.
Der Zettel, den John Gowers ihr gegeben hatte, lag deshalb schwer auf ihrer Seele, denn sie hatte natürlich gespürt, an seinem Stutzen, an seinem Stottern, dass diese Worte für sie bestimmt waren. Sie entzifferte auch genug davon, um zu verstehen, was er ihr sagen wollte, aber sie verbot sich, diesen Worten zuzuhören. Es machte sie beinahe wütend, dass er es aufgeschrieben und nicht einfach gesagt hatte. Denn was gesagt wurde, war Wind, verklang, konnte überhört werden. Der Zettel aber verlangte eine Entscheidung von ihr. Einmal hatte sie ihn sogar schon zusammengeknüllt, um ihn in den Fluss zu werfen, das Papier aber dann wieder glatt gestrichen, zusammengefaltet und aufbewahrt.
Noch immer, den ganzen langsamen Weg den Atchafalaya River hinauf, an riesigen Wäldern von Sumpfzypressen, überwucherten kleinen Bayous vorüber, brachte sie John Gowers seinen Morgenkaffee ins Steuerhaus. Sie sprachen nicht viel, und dafür lächelten sie eigentlich zu oft. Er machte sie auf Alligatoren, Flamingos und einmal auf einen Baum aufmerksam, der, mit einem langen Bart aus Spanischem Moos überwachsen, tatsächlich aussah wie Mr. Phineas »oder ein naher Verwandter«. Und irgendwann merkte Deborah zu
ihrer Bestürzung, dass sie die Antwort auf seine Verse gar nicht mehr finden, sondern nur noch geben musste. Das aber fiel ihr
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