Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
sklavereifreundliche Farmer aus ihren Häusern und Betten, schnitt einigen von ihnen aus unerfindlichen Gründen zunächst die Finger ab und spaltete ihnen dann nacheinander die Köpfe mit einem schweren Kavalleriesäbel. Die chaotische Situation am Ende der 1850er-Jahre lässt sich vielleicht dadurch am treffendsten kennzeichnen, dass dieses widerliche Massaker in den Zeitungen aufgrund weiterer Kämpfe und Überfälle schon bald verblasste und auch nie juristisch geahndet wurde.
Über zweihundert Menschen starben durch derartige Fememorde, und natürlich wurden bei derlei Gelegenheiten auch viele alte Rechnungen beglichen, Raub- und Rachegelüste befriedigt. Die neuere Forschung hat festgestellt, dass die Bushwacker aus Missouri dabei keineswegs nur primitive, gekaufte Gesellen waren, sondern zumeist »Söhne von wohlhabenden Pflanzern südstaatlicher Herkunft, die mit dreimal so großer Wahrscheinlichkeit Sklaven besaßen und doppelt so reich waren wie der durchschnittliche Mann aus Missouri«.
Obwohl auch in St. Louis zehn Todesopfer zu beklagen waren, war die Stadt, in der und deren Umgebung überdurchschnittlich viele Sklavereigegner lebten, bislang von den Raids der Terroristen beider
Seiten weitgehend verschont geblieben, vermutlich, weil eine so große Stadt, in der zudem ein militärisches Arsenal der Bundestruppen lag, für nächtliche Überfälle ungeeignet war. John Lafflin fühlte sich als angesehener Bürger dieser Stadt deshalb vollkommen sicher, obwohl seine Haltung in der Sklavenfrage – wenn auch nicht sein heimliches Engagement in der Befreiungsbewegung – allgemein bekannt war. Nachbarn und sogar Gegner betrachteten auch seine sozialistischen Neigungen eher als persönliche Verschrobenheit und fanden es durchaus nicht ungewöhnlich, dass der Pulverfabrikant an einem kalten, trüben Novembermorgen 1859 zu Fuß aufbrach, um einem seiner ehemaligen Arbeiter eine Kiepe mit Nahrungsmitteln zu seiner acht Meilen außerhalb liegenden Farm zu bringen.
Es störte Lafflin nicht im Geringsten, dass Thomas Gerstendorff, ein Deutschamerikaner aus Trier, jünger war als er selbst. Auch dass Gerstendorff aus derselben Stadt stammte wie sein Freund Marx und er sich mit ihm über die Thesen des Sozialismus unterhalten konnte – ohne den Deutschen jedoch überzeugen zu können –, war für Lafflin bei seinem Samariterdienst nicht ausschlaggebend. Entscheidend war allein, dass sein ehemaliger Vorarbeiter, an Tuberkulose erkrankt, seit mehreren Monaten daniederlag und Lafflin eben nicht nur theoretisch der Überzeugung war, dass der Stärkere für den Schwächeren einstehen muss. Außerdem hörte er die deutschen Volkslieder gern, die Gerstendorffs Frau, die nie richtig Englisch gelernt hatte, bei all den kleinen Nähtätigkeiten sang, mit denen sie sich und ihren Mann über Wasser hielt.
Tatsächlich trieben ihm einige dieser friedlichen, gemütvollen Melodien Tränen in die Augen, obwohl er den Text nicht verstand. Sie erinnerten ihn an die einfachen französischen Volksweisen, die seine Mutter gesungen hatte. Vielleicht, dachte er manchmal – und verbot sich meist sofort, derart naiv zu denken –, ließen sich irgendwann Kriege und Ausbeutung unter den Völkern allein dadurch verhindern, dass die Menschen einander die Lieder vorsangen, die sie aus ihrer Kindheit noch in Erinnerung hatten.
Lafflin aß mit den beiden alten Leuten zu Mittag und hackte danach
noch ein wenig Holz, wobei er zum ersten Mal merkte, dass seine eigene Krankheit, eine aus einer hartnäckigen Sommererkältung hervorgegangene Lungenentzündung, noch nicht allzu lange zurücklag. Oder war es das Alter? Ihm wurde ein wenig schwindlig, und der Schweiß auf seinem Rücken fühlte sich kalt und ungesund an. Er fröstelte, als er seine Jacke wieder anzog, und dachte mit Unlust an den acht Meilen langen Rückweg, denn ein unangenehmer kalter Nieselregen hatte eingesetzt, den kein Hut und kein hochgeschlagener Kragen aufhalten konnte.
Lediglich das »Ade nun zur guten Nacht, jetzt wird der Schluss gemacht, dass ich muss scheiden«, mit dem Mrs. Gerstendorff ihn wie immer verabschiedete, wärmte ihn noch ein wenig. Dann war er allein auf den schlammigen Wegen. Der Novemberwind blies machtvoll durch die Gerippe der kahlen Bäume, und schon der frühe Nachmittag war in ein düsteres, kaltes Zwielicht getaucht. Lafflin konnte die Pferde hören, ehe er sie sah.
Zuerst dachte er an einen Wagen, hoffte sogar auf eine
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