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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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ausgespuckt!«, aber dann hatten sie die kleine Anlegestelle schon achteraus. Gringoire entzündete das Feuer, und sie trieben noch nicht lange den Fluss hinunter und auf den Hafen zu, als Gowers die Deep South auch schon ausgemacht hatte. Es war Gringoire, der das einfältige Liedchen sang, um jeden noch so geringen Verdacht abzulenken, dann brachte John sie mit wenigen Schlägen des Ruders längsseits des alten Dampfers, und sie kletterten an Bord, ohne dass sich an Land etwas gerührt hätte.
    Flüsternd befahl John dem über das vollständige Gelingen ihres Plans nicht im Geringsten verwunderten Maschinisten, Dampf vorzulegen,
und schlich dann geduckt die Treppe zum Texasdeck hoch. Gringoire wartete nur auf sein Signal, um die Leinen loszuwerfen, und Deborah hielt sich backbord, auf der Flussseite, der im Augenblick sichersten Stelle.
    »Scheiße!«, ertönte in diesem Moment eine Stimme vom Ufer her. »Hierher, Jungs! Sie sind an Bord, sie sind schon an Bord!«
    Ein einzelner Schuss fiel, und Gringoire wartete jetzt nicht mehr länger, sondern sprang an Land und löste das Schiff vom Pier, zuerst achtern, dann vorn. Die Maschine erwachte im gleichen Moment, Gowers legte das Ruder um, und der alte Pirat drückte mit der Laufplanke das Schiff vom Ufer weg. Dabei begann eine wilde Knallerei, die größtenteils dem Steuerhaus galt.
    Deborah, nicht gewohnt, sich vor einer Gefahr zu verstecken, lief auf die Steuerbordseite, sah flüchtig einige schattenhafte Gestalten mit gespenstisch weißen Gesichtern auf das Schiff zulaufen und registrierte auch, dass Gringoire in seiner anstrengenden Tätigkeit eine Sekunde lang stockte. Der alte Mann fühlte, dass er getroffen war, stieß das freikommende Schiff aber noch ein paar Zentimeter weiter ab und sprang erst im letzten Moment. Hilflos klammerte er sich mit beiden Händen von außen an die Bordwand und wurde noch zweimal getroffen, während das große Heckrad sich in Bewegung setzte und die Deep South Meter um Meter auf den Fluss hinausschob.
    Mit letzter Anstrengung und der Hilfe des Mädchens zog sich Gringoire schließlich an Deck. Blut lief aus seinem Mund, in seinen weißen Bart, strömte über seine Lippen, als er sagte: »Du … du wirst loten müssen!«
    Das Johlen vom Ufer her wurde leiser, die Mörder feuerten nicht länger auf das Steuerhaus, sondern nur noch auf das weiße, vom Schaufelrad aufgewühlte Wasser  – das Letzte, was man in St. Louis von John Lafflins Schiff sah. John Gowers blickte jetzt zum ersten Mal zurück und bemerkte, dass überall im Hafenviertel Lichter aufflammten, die ganze Stadt aufwachte und sich vermutlich fragte, ob der Bürgerkrieg endlich ausgebrochen sei.
    Deborah aber hatte, als sie nach achtern lief, um John von Gringoires
Verwundung zu informieren, die unheimlichste Begegnung der ganzen Nacht. Plötzlich stand ein unbekannter Mann vor ihr, ein bloßer Schatten, klein und dunkel, dessen Gesicht und Hände schwarz waren, als hätte er nach Kohle gegraben. Sie hob den schweren Revolver und sah nur das flackernde Weiß in seinen Augen und sein geblecktes Gebiss, als er sagte: »Nicht schießen, Miss, bitte! Ich verschwinde, ich bin schon weg!« Praktisch im gleichen Moment ließ er sich über die Backbordseite ins Wasser fallen.
    Sie hatte keine Zeit, lange über diesen Menschen nachzudenken oder sich zu fragen, was er an Bord gesucht hatte; Gringoire lag im Sterben. Alles, was sie für ihn tun konnten, war, ihn so bequem wie möglich hinzulegen, vorn am Bug, wo er gefallen war. Deborah hielt kurz seinen Kopf im Schoß und sah, dass er lächelte. Dann musste sie nach den Lotleinen suchen, während John wieder ans Steuer ging.
    Er hatte sich immer gewünscht, auf dem Wasser zu sterben, auf dem Meer, wenn möglich. Aber wenn es denn nur ein Fluss sein sollte, voilà, dann war der Mississippi vermutlich besser als jeder andere. Er hörte die Stimme des Mädchens die Tiefen aussingen und wusste, dass sie gute Fahrt machten. Irgendwann sah er die Nebelbank auf sich zukriechen, den Atem des Flusses, schon nicht mehr grau, sondern weiß. Das war gut. Dann war der Tag nahe.

151.
    Der Morgen nach dem großen Sieg war windstill und ungewöhnlich warm für einen Tag im letzten Monat des südlichen Winters. Seit Sonnenaufgang waren die Frauen und alten Männer damit beschäftigt, die Leichen der getöteten Feinde aus dem Busch zum Marae , dem großen Versammlungsplatz in der Mitte des Dorfes, zu schleppen, während die Krieger sich

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