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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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ausruhten und für die Siegeszeremonie schmückten. Die schwere Arbeit hatte unter Singen und Scherzworten begonnen, aber als immer mehr ausgeblutete, über Nacht erstarrte Körper eingeholt wurden,
wich das Lachen einem zwar nicht bedrückten, aber doch respektvollen Ernst.
    Es waren junge, starke Männer, die sie fanden, und ihre Augen waren fast alle geöffnet, so, als hätten sie bis zuletzt nicht an ihren Tod geglaubt. Einige waren bereits nackt und von Axthieben gezeichnet; einem hatte man das Herz herausgeschnitten. Aber auch die, die man erst jetzt fand, hatten sich die Uniform oder Teile davon heruntergerissen, vielleicht, um festzustellen, wo die Kugeln sie getroffen hatten. Als die Sonne höher stieg, schwärmten auch die Kinder, die man aus dem Eulennest geholt hatte, auf dem Schlachtfeld aus, um liegen gebliebene Waffen und Munition bis auf die letzte Patrone zu bergen.
    Es war Mittag, ehe alles getan war und die Zeremonie beginnen konnte. Titokowaru, in den sauber gebürsteten dunklen Anzug eines britischen Gentlemans gekleidet, trat aus seiner Hütte und überblickte seinen Triumph: zweiundzwanzig komplett entkleidete Leichen, ausgelegt wie eine Strecke Wildschweine, einen großen Berg, bestehend aus ihren Kleidern, Stiefeln, Hüten, Decken, Rucksäcken, Zeltbahnen; einen kleineren, den ihre persönliche Habe, Brieftaschen, Uhren, Brillen, Tagebücher und so weiter, bildete, und ihre Waffen, die man zusammengebündelt hatte wie Heugarben.
    Es begann nun ein langes, aufgeregtes Korero , die öffentliche Diskussion und Entscheidung darüber, was mit den Toten geschehen sollte. Einige wollten sie essen, insbesondere den Kör – per von Manu-Rau, um seiner Kraft teilhaftig zu werden, aber Titokowaru lehnte das ab. Er trat zu der Leiche des auf der gesamten Nordinsel so sehr gefürchteten Kriegers und hielt ihm eine etwas bemühte Totenrede.
    »In den Tagen der Vergangenheit hast du hier gekämpft und dort gekämpft und dich immer gerühmt, dass du sicher aus den dunklen Schlachten zurückkehren würdest in die strahlende Welt des Lebens. Aber als du auf mich trafst, haben deine Augen sich geschlossen zu ihrem letzten Schlaf. Es ließ sich nicht
ändern: Du suchtest den Tod in meiner Hand, und jetzt schläfst du für immer …«
    Er war bis zu dieser Stelle gekommen und so in den Anblick des Toten versunken, dass er erst jetzt bemerkte, dass die Aufmerksamkeit seiner Leute von etwas abgelenkt wurde, das sich jenseits der Palisade befand.
    »Pakeha! Pakeha!«, rief der Wachtposten, einer der jungen Burschen, die sich gestern so gut bewährt hatten, und fügte dann entsetzt etwas völlig Lächerliches hinzu: »Es ist Manu-Rau! Manu-Rau kommt zurück!«
    Die Menge wälzte sich mit einem Aufheulen zum Tor, um den wiederkehrenden Manu-Rau, dessen Leiche sie doch gerade noch umstanden hatte, in Augenschein zu nehmen, und die Krieger holten ihre Waffen, um ihn im Bedarfsfall noch einmal zu töten. Tatsächlich wurden einige Gewehre angelegt, aber der Wachtposten schrie plötzlich: »Er hat Tutange Waionui bei sich!« Der junge Mann zitterte. Wenn dies der Geist Manu-Raus war, dann war vielleicht auch sein Freund Tutange ein Geist  – und notwendigerweise zuvor gestorben!
    Auch Titikowaru schaute jetzt auf die Lichtung hinaus, und wahrhaftig, am Waldrand stand ein einzelner weißer Mann, der Manu-Raus Gestalt hatte und Kleider trug, wie man sie seiner Leiche ausgezogen hatte. Einen Augenblick stutzte der Häuptling, dann sagte er mit mildem Spott: »Ich sehe mit einem Auge besser als ihr alle mit zweien! Der Mann ist nicht Manu-Rau.«
    Aber wenn er nicht Manu-Rau und auch kein Geist war, wer oder was war er dann? Ein Abgesandter McDonnells, der über die Herausgabe der Leichen verhandeln sollte? Dann hätte er zumindest eine Parlamentärsflagge zeigen müssen. Der Mann tat nichts dergleichen, legte nicht einmal seine Waffen ab, sondern überquerte ruhig und bedächtig an der Seite des jungen Tutange Waionui die Lichtung, wobei er lediglich bemüht zu sein schien, die Maori jederzeit seine Hände sehen zu lassen.
    Die Krieger honorierten so viel Mut, indem sie nicht auf den Mann feuerten, ihm aber in einem furchterregenden Haka zeigten, was sie alles mit ihm machen würden, wenn umgekehrt er auf sie anlegen sollte. Ohne dass ein Wort gesprochen wurde, betrat der Mann das Pa und blieb erst vor Titokowaru stehen, den er aufgrund seines grimmigen Äußeren, des fehlenden Auges und der schrecklichen Narbe auf der

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