Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
abolitionistischen Pfarrers einen Kredit auf, kaufte sich selbst für vierhundertfünfundsiebzig Dollar, die sie ihrem ehemaligen Herrn nach Vicksburg schickte, und einundzwanzig Jahre nach dem blutigen Aufstand Nat Turners wurde es zum ersten Mal in ihrem Leben Tag.
45.
Man hatte Moses vor allem deshalb noch nicht gefasst, weil er ein Meister der Tarnung war. Er war alt, er war jung, trug einen Bart oder keinen, Männer- und Frauenkleidung, arm oder reich – es waren die unterschiedlichsten Beschreibungen von Moses im Umlauf.
Die Pflanzer und ihre Milizen, die Polizei, wussten nicht einmal, ob er im Süden oder Norden lebte, und fragten sich vor allem, wie er Kontakt zu den zur Flucht bereiten Sklaven aufnahm, ja, wie er sie und sie ihn überhaupt erkannten.
Tatsächlich hielten sie den Gospel »Go down, Moses«, der in den letzten Jahren wie eine Infektionskrankheit über die Schwarzen der Südstaaten gekommen war, nur für eine amüsante, biblisch motivierte Provokation, aber nicht für einen Code. Auch dass Sklaven einander nur in die Augen sehen müssen, um ihre Fluchtgedanken zu lesen, war den Sklavenhaltern naturgemäß unbekannt.
Wie viele Sklaven Moses bereits nach Norden und ins Gelobte Land Kanada geführt hatte, wusste nur er. Lediglich, dass er sein Werk in Kentucky begonnen hatte, vermutete man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit.
Bei Cloverport am Ohio war der Tabakpflanzer Dean Stanton an einem Morgen vor vier Jahren aufgewacht, weil es auf seiner kleinen Plantage so grabesstill war. Er fühlte sich, als hätte er am vergangenen Abend schwer getrunken, dabei hatte er nur zwei oder drei Gläser zu sich genommen, weil er bei klarem Verstand mit dem neuen, auffallend hochgewachsenen Niggermädchen schlafen wollte. Das Letzte, was er wusste, war, dass er sich tatsächlich zu ihr ins Bett gelegt hatte; danach nichts mehr. Er suchte jetzt nach seinen Kleidern und fand sie nicht, nichts, keine Hose, keine Stiefel, nicht einmal Pantoffeln. Barfuß und im Nachthemd irrte er über den Hof, fand zuerst seine Hunde, ein halbes Dutzend scharfer, bissiger Schweißhunde, in ihrem Zwinger liegend. Schwarze Fliegen saßen in ihren Augen, und der Schaum vor ihren Mäulern bewies, dass man sie vergiftet hatte.
Stanton tobte, noch immer barfuß, noch immer im Nachthemd, riss alle Hütten, Verschläge, Schuppen und Scheunentore auf, aber seine elf Nigger, Männer, Frauen und Kinder, waren verschwunden. Ebenso sein Pferd und sämtliche Waffen. Es kostete ihn vier Stunden, einen Himmel voll Flüche und völlig zerschundene Füße, um die Farm seines Nachbarn Charles Wilkinson zu erreichen. Als der endlich die Miliz alarmiert hatte, waren die geflohenen Sklaven natürlich längst
über den Ohio und alle Berge, und auch ein offizielles Auslieferungsersuchen an die Behörden des freien Staates Indiana fruchtete nichts, da sie nach zwei Wochen Kanada erreicht hatten. Dean Stanton war ruiniert.
Ähnliche Vorfälle wiederholten sich bei Maysville und Peducah, bis die Sklavenhalter entlang des Ohio in ständiger Alarmbereitschaft waren und verstärkt weiße Aufseher anstellen mussten, die ihre Nigger auch nachts nicht aus den Augen ließen. Eine Weile kehrte daraufhin Ruhe ein, aber dann verschwand eine Gruppe Sklaven aus Shelbyville am Duck River, mitten in Tennessee, so spurlos, als wären sie unsichtbar geworden. Moses’ Raubzüge hatten das südliche Kernland erreicht, und obwohl seine unheimlichen Attacken vorwiegend im Grenzland zwischen freien und Sklaven haltenden Staaten stattfanden, von New Martinsville im nördlichsten Zipfel Virginias bis St. Genevieve/Missouri, konnten sich insbesondere die kleinen Farmer mit fünf oder fünfzehn Sklaven nirgends mehr sicher fühlen.
Nur in das Territorium der wirklichen Großgrundbesitzer, in den tiefen Süden, der bei Memphis begann, hatte Moses sich noch nicht vorgewagt. Das hing vermutlich mit Transportschwierigkeiten zusammen. Man nahm als sicher an, dass Moses seine Kinder auf dem Wasserweg in den Norden brachte, denn all seine Überfälle fanden in der unmittelbaren Nähe schiffbarer Flüsse statt. Wie das im Einzelnen vor sich ging, wusste im Süden niemand, aber eine weitere Gemeinsamkeit deutete auf einen einzelnen, hinter alldem stehenden Willen hin: Auffallend viele der entlaufenen Sklaven schickten ihren Herren von Kanada aus kleine oder größere Geldbeträge, um ihre Freiheit gewissermaßen offiziell zu erwerben.
Da niemand einem Schwarzen so viel
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