Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
müsse, statt ihn nur zu fordern, und warnte sie vor allen Büchern, die von Sterblichen geschrieben waren.
All das sagte er nicht wie ein Hexenmeister, sondern mit ruhiger, vernünftiger Stimme, die das Bedürfnis auslöste, dem Gesagten rasch zuzustimmen. Nur als er zu den Zeichen kam, wurde es unheimlich; wie er Ngarara gesehen hatte, die Eidechse, und die Flamme, die sich nicht verzehrt. Dabei hob er langsam beide Hände in die Höhe, und ein einziger lauter Ruf des Erschreckens entfuhr der Menge, als er sie plötzlich aneinanderrieb und dann über ihren Köpfen ausstreckte wie Fackeln – denn Te Kootis Hände standen in Flammen, deutlich sah man das Flackern um seine Finger, ohne dass sie verbrannten. Ebenso plötzlich ballte er die Hände und löschte dadurch das Feuer, als hätte er es mit den Fäusten eingefangen.
Ringatu – die erhobene Hand – war der Höhepunkt des Rituals und zugleich sein Ende. Te Kooti verwandelte sich wieder in einen freundlichen, wenn auch etwas erschöpften Menschen, der zwischen den anderen umherging und leise mit ihnen redete. Aber selbst der alte Mann war in diesem Moment vollständig davon überzeugt, einen Boten Gottes vor sich und Gottes Befehle gehört zu haben. Zu seinem Schrecken blieb der Prophet in diesem Moment direkt vor ihm stehen und sah ihm für einige Sekunden in die Augen. Dann nickte er freundlich, bedeutete aber den deutlich weniger freundlichen Whakarau neben ihm, offenbar seinen Leibwächtern, den alten Mann in seine Hütte zu bringen. Dort musterte er ihn eindringlich mehrere Minuten lang und berührte sogar die Tätowierungen in seinem Gesicht.
»Sterne und Strömungen, die Wolken und den Wind kenne ich«, murmelte der Prophet. Dann bot er dem Navigator zu trinken an, und sie tranken und redeten von der Ungerechtigkeit der Pakeha, dem Kampf der Maori, dem Zorn Gottes und der neuen Religion des Friedens, die all das beseitigen würde und
deren Prophet er war. Zuletzt erinnerte Te Kooti den alten Mann daran, dass sie Brüder seien, lange getrennt durch das Meer, aber beide die Kinder Kupes, des großen Seefahrers.
Ob er ein Boot über die See steuern könne, zu einem bestimmten Punkt im Norden Aotearoas, eine Flotte von Booten vielleicht, wie in den Tagen der Landnahme? Angst müsse er nicht haben, die Whakarau würden ihre Wächter überwältigen, Gott sei auf ihrer Seite. Wenn er sie treu und recht führe, könne er unter ihnen leben, als ihr hochverehrter Bruder und Vater, würde wieder eine Frau bekommen und Kinder zeugen. Nur bei Verrat drohe ihm ein schrecklicher Tod in dieser und allen folgenden Welten.
Der alte Mann nickte zu diesen Fragen und Forderungen und versuchte, ein gleichmütiges, ehrliches Gesicht zu machen. Aber Angst und tiefes Misstrauen hämmerten zwischen seinen Schläfen, denn er hatte den Phosphor an den Händen des Propheten gerochen und wusste, dass alles ein Schwindel und der freundliche Mann vor ihm ein äußerst gefährlicher Mensch war, der tief in sein Herz gesehen hatte.
47.
Der Reeder hatte sich nicht die Zeit genommen, sich richtig anzuziehen. Ohne Kragen und Krawatte, Hemdbrust oder sonst ein Zeichen seiner bürgerlichen Existenz war er dem Boten gefolgt, der ihn zu einer Polizeistation im Norden beordert hatte, um eine Identifizierung vorzunehmen. Zwischen atemberaubenden Hoffnungen und den schlimmsten Befürchtungen fast verzweifelnd, hatte er dem Droschkenkutscher das Trinkgeld seines Lebens gegeben, und nun flogen sie so dahin, wie man auf Melbournes überwiegend noch ungepflasterten Straßen nur dahinfliegen konnte.
Nach weniger als einer halben Stunde stürmte er in das Polizeirevier
und sah zu seiner Enttäuschung oder zu seinem Entzücken – er war sich nicht sicher –, dass es nur der Detektiv war, den er identifizieren sollte. John Gowers trug einen blutigen Verband um die Stirn, Resultat eines Fluchtversuchs, der mithilfe eines Gewehrkolbens vereitelt worden war, und hatte die Nacht in der Zelle gleich neben der von Nell Fagan und ihrer Bande verbringen müssen. Es war infolgedessen keine sehr ruhige Nacht gewesen.
Es dauerte eine Weile, bis Robert Maguire ihn ausgelöst hatte, denn zur nachhaltigen Verwirrung des Reeders hielt man Gowers offenbar für einen Mittäter oder -wisser bei der Entführung seiner Kinder, und seine Entlassung erfolgte nur unter dem Vorbehalt, sich jederzeit zur Verfügung von Polizei und Justiz zu halten. Einmal draußen, versuchte der Investigator auch
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