Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
pazifischen Raum verstanden wurden.
44.
Deborahs Mutter hatte glaubhaft angegeben, dass sie verschleppt und vergewaltigt worden war, deshalb wurde sie im September 1831 in Virginia nicht gehängt, sondern nur in den tiefen Süden verkauft. Für den Rest ihres kurzen Lebens zehrte sie von diesem einen Monat Freiheit, den sie an der Seite der Aufständischen erlebt hatte; von Hunden gehetzt, tötend, brandschatzend, die Virginia-Miliz auf den Fersen, durch die Wälder gejagt wie wilde Tiere – aber frei.
Für einen Sklaven wird es nie Tag, hieß es, aber für sie hatten sich die Nebel ein wenig gehoben, war die Sonne zwei Dutzend Mal aufgegangen. Tautropfen, glänzend und schwer wie reife Elderberries, hatten in den Hecken gehangen, unter denen sie schliefen, waren in ihr Gesicht gefallen und hatten sie aufgeweckt mit der unglaublichen, der wunderbaren Frage: Was tue ich heute?
Niemand hatte sie verschleppt, niemand hatte sie vergewaltigt,
aber niemand konnte ihr das beweisen. Sie war aus eigenem Entschluss fortgelaufen und hatte sich Bloody Nat Turner und seinen zeitweilig siebzig Leuten angeschlossen, die bewaffnet das Land durchzogen und Brandsätze in die Häuser ihrer weißen Herren warfen. Sie hatte nicht selbst getötet, aber zwei Dutzend Weiße sterben sehen, darunter auch Frauen und Kinder.
Sie hatte kein Mitleid gehabt.
Sie war voller Liebe für die schwarzen Männer, die all das taten, schlief mit mehreren von ihnen, nicht wahllos, aber auch nicht sehr wählerisch. Und unter einer dieser Hecken, in einer dieser blutwarmen Nächte wurde ihr siebtes Kind gezeugt: in Freiheit – und etwas von der Schönheit und den Schrecken der Freiheit lebte in dem kleinen Mädchen weiter.
Ohne dass sie es je erfuhr, verdankte Deborah selbst ihren Namen Nat Turners Aufstand im fernen Virginia beziehungsweise den Worten der Bibel: »Geh hin und ziehe auf den Berg Tabor und nimm zehntausend Mann mit dir«, die ein schwarzer Prediger unter ihnen auf die Aufständischen angewandt und die Deborahs Mutter so sehr beeindruckt hatten. Deborah war eine Richterin und Prophetin, lange vor Salomon, David, Saul, allen Königen Israels, Judas, ein halbes Jahrtausend vor dem Bau des Tempels. Zusammen mit Barak, dem Sohn Abinoams, und mithilfe von Jahel, der Frau des Heber, schlug sie die Kanaaniter und ihren Feldhauptmann Sisera aufs Haupt, »und das Land hatte Ruhe vierzig Jahre«.
Deborah wusste das nicht und glaubte, ihr Name sei von ihrem weißen Herrn ausgesucht worden, und hasste beides, als sie alt genug zum Hassen war. Sie wurde auf einer kleinen Plantage in Covington /Louisiana geboren, nachdem ihre Mutter sie in ihrem Leib, zu Fuß und in Ketten quer durch die Vereinigten Staaten getragen hatte. Als Deborah acht Jahre alt war, starb ihre Mutter, die sich nie an das sumpfige Klima der Coastal Plains gewöhnt hatte, an einem Fieber; starb unruhig, starb schwer, vom glänzenden, kühlen Tau der Freiheit träumend. Fast alles, was das Mädchen über seine Herkunft wusste, wurde in diesen Fiebertagen gesprochen.
Als sie zwölf war, machte ihr Herr, der bis dahin ein guter Herr und mit dem halben Dutzend anderer Sklaven ihre einzige Familie gewesen war, sie so brutal zur Frau, dass sie zum ersten Mal weglief, als sie erst wieder laufen konnte. Sie kam nicht weit auf dieser ersten Flucht, wurde rasch wieder eingefangen und von den Drivern , weißen und schwarzen Menschenjägern, erneut vergewaltigt. Aber sie zerbrach nicht daran; wurde stattdessen aufsässig, bösartig und fast totgeschlagen, als ihr Herr einmal sah, wie sie in sein Essen spuckte. Er vermietete sie auf ein Jahr an einen sogenannten Niggerbreaker in Hammond, und das war eine seltsame Erfahrung.
Seltsam, weil der Mann sein Handwerk verstand. Er schlug seine Sklaven nicht und gab ihnen besser zu essen, als Deborah es gewohnt war, aber nur, wenn sie ihre Arbeit taten, sechzehn Stunden am Tag. Wer bummelte, zu viel schlief, Widerworte gab, wurde in einem formvollendeten Gerichtsverfahren, in dem die anderen Sklaven sogar als Beisitzer fungierten, zu einer von zwei möglichen Strafen verurteilt: den Hörnern oder dem Stock. Die Hörner bestanden aus einem eisernen Ring, der um den Hals gelegt wurde und an dem drei oder vier spitze, gut dreißig Zentimeter lange Zinken festgeschmiedet waren, die den Kopf, das Gesicht wie die Stangen eines Käfigs umgaben. Mit den Hörnern konnte man nicht schlafen, nur auf der Seite, manchmal, für wenige Minuten, und nach
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