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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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schäbigen kleinen Anlegestelle gewartet hatte, um ihn zu verabschieden: eine große, weißhaarige Negerin und ihre beiden hellhäutigeren Töchter, eine davon mit einem Säugling auf dem Arm, die andere mit einem Kind an der Hand. Gowers fragte sich, warum sie nicht wenigstens kurz mit an
Bord gekommen waren, aber das blieb nicht das einzige Geheimnisvolle an dem im Übrigen sehr einsilbigen neuen Besatzungsmitglied.
    Der große Fluss war in den ersten grauen Morgenstunden so leer wie das Herz eines Bankiers oder das Hirn eines Soldaten; also nur hier und da ein paar kleine Flöße, so weit entfernt, dass man ihnen nicht einmal ausweichen musste. Lafflin, der sich, obwohl nominell Kapitän, auch für die Dienste eines Stewards nicht zu schade war, brachte seinem Lotsen und Steuermann eine große Blechtasse und eine Kanne mit schwarzem Kaffee ins »Texas«, wie das Steuerhaus auf Mississippidampfern allgemein genannt wurde.
    Gowers hatte eben beobachtet, wie sich Gringoire auf dem Vordeck zum Schlafen einrollte und nun schon seit einer Viertelstunde schnarchte wie ein betrunkener Erzengel. Während die Hitze des Kaffees in seinem Magen anschlug und sich mit wohliger Langsamkeit in seine Gliedmaßen verbreitete, fragte er: »Heißt der Mann wirklich Pierre Gringoire?«
    Lafflin schüttelte den Kopf. »Nur Gringoire, soweit ich weiß. Vielleicht nur ein Spitzname, aber den hatte er dann schon weg, als wir uns kennenlernten.« Ehe Gowers weitere Fragen stellen konnte, ging der alte Mann in die Offensive. »Sagen Sie nicht, dass Sie auch einen französischen Renaissancedramatiker gelesen haben!«
    »Nein«, erwiderte Gowers belustigt. »Aber Notre-Dame de Paris natürlich, wenn auch nur in einer englischen Übersetzung.«
    »Parlez-vous français?«
    »Nur das, was man in New Orleans so nennt, Sir.«
    Gringoire war tatsächlich ein Spitzname, aber Gringoire trug ihn schon so lange, dass er sich an seinen eigentlichen Namen kaum noch erinnern konnte. Schon seine Kommilitonen an der Sorbonne hatten ihn so genannt, wegen der Narrenstreiche, die schließlich zu seiner Relegation geführt hatten, und in seiner Gerichtsakte stand »Gringoire« bereits gleichberechtigt neben seinem bürgerlichen oder vielmehr adligen Namen. Einem der wenigen, die es anderthalb Jahrzehnte nach der großen Revolution in Frankreich noch gegeben hatte.
    Im Bagno, auf den Îles du Salut, wurde er endgültig und ausschließlich
Gringoire und blieb es auf seiner abenteuerlichen Flucht durch Französisch-Guayana, Surinam, Kolumbien und die Inselwelt der Karibik. Auf Santo Domingo schloss er sich dem berüchtigten Freibeuter Pierre Laffitte an, der französische Waren an der gesamten englischen Kriegsflotte vorbei nach New Orleans schmuggelte. In New Orleans endlich lernte er Pierres jüngeren Bruder Jean kennen; einen Mann, der nicht nur Liebhaber der amerikanischen Gouverneursgattin war, sondern auch die Chuzpe besaß, ein von ebendiesem Gouverneur, William C. C. Clairborne, auf ihn ausgesetztes Kopfgeld von fünfhundert Dollar zu verzehnfachen  – auszuzahlen an denjenigen, der ihm Gouverneur Clairborne brächte, tot oder lebendig.
    In der sinnlosesten Schlacht des Jahrhunderts, die Anfang Januar 1815 bei New Orleans nur stattfand, weil weder Engländer noch Amerikaner wussten, dass die Vertreter ihrer beiden Länder bereits Weihnachten 1814 im fernen Belgien einen Friedensvertrag unterzeichnet hatten, kämpften sie aber dann doch aufseiten der Amerikaner: Gringoire, die Brüder Laffitte und zweihundert ihrer halbwilden Schmuggler und Piraten aus den Sümpfen von Barataria. Der Dank der Vereinigten Staaten für ihre schlachtentscheidenden Dienste bestand darin, dass ein Bataillon der US-Marine die kleine Schmugglerrepublik dem Erdboden gleichmachte, während zur gleichen Zeit die zerlumpten Baratarier die Übermacht der britischen Rotröcke unter General Sir Edward Palkenham vier Mal zurückschlugen.
    Eine bereits ausgerufene Amnestie wurde kassiert, und die so schäbig betrogenen Piraten zerstreuten sich in alle Winde der Karibischen See. Gringoire und die Brüder Laffitte schlossen sich dem mexikanischen Freiheitskampf unter Admiral Manuel de Herero an, plünderten von Galveston aus allerhand Fracht- und die letzten Silberschiffe, die die spanische Krone aus Mittelamerika herauspresste. Sie gründeten auch erneut eine Piratengemeinde: Campeachy, letzte natürliche Tochter der alten Seeräubernester Tortuga, Port Royal und New

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