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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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mit den üblichen zwei kurzen und zwei langen Pfeifsignalen kundtat, dass die Lotsen beider Schiffe miteinander zu reden hätten  – und Sam Clemens auf dem in solchen Fällen angesteuerten nächsten Anlegesteg flussabwärts von Bord ging, als wollte er sich die Beine vertreten.
    So etwas kam gelegentlich vor. Ein Lotse, der eine neu aufgetauchte Gefahr auf dem Fluss, ein Wrack, einen tückisch verkeilten Baumstamm oder ein durch einen nächtlichen Abbruch entstandenes Riff entdeckte, tat nur seine Pflicht, wenn er seine Kollegen bei erster Gelegenheit darauf hinwies. Dennoch war es ein seltsames Schauspiel: die beiden großen Schiffe, Fracht und Passagiere, Werte von leicht zehn- oder zwanzigtausend Dollar  – und die beiden jungen Burschen, knapp über zwanzig, die den Lauf der amerikanischen Wirtschaft
aufhielten, um auf einem gottverlassenen Steg unterhalb von Osceola/Arkansas anscheinend locker miteinander zu plaudern.
    »Mr. Gowers.«
    »Mr. Clemens.«
    Obwohl sie kurzzeitig unter demselben Meister gelernt hatten, begrüßten sich die beiden jungen Männer sehr förmlich, indem sie mit knappen Verbeugungen die Lotsenmützen voreinander zogen.
    »Schöne alte Nuckelpinne das«, sagte Clemens mit einem Lächeln in Richtung der Deep South . »Wohin geht’s?«
    »New Orleans«, antwortete Gowers. »Und selbst?«
    »Louisville.« Ohne sich vom Anblick des alten Schiffes losreißen zu können, fuhr Clemens fort: »Nehmen Sie’s nicht persönlich, aber Ihr Kahn sieht nicht gerade so aus, als würde er die Aufmerksamkeit klügerer Reisender auf sich ziehen.«
    »Ja, jetzt, wo Sie’s erwähnen … Aber die Sonne scheint für alle, nicht wahr?«, sagte John achselzuckend. »Haben Sie mich deshalb angeheult?«
    »Ja und nein.« Clemens kratzte sich in einem eindrucksvollen Dickicht widerspenstiger brauner Locken. »Ich dachte, es würde Sie interessieren, dass man mich trotzdem von Baton Rouge bis Memphis in nahezu jeder erwähnenswerten urbanen Ansiedlung nach einer gewissen Deep South gefragt hat. Und die Herren sahen nicht eben freundlich und zahlungswillig aus.«
    Das Protokoll verlangte, dass sich nun Gowers hinter dem rechten Ohr kratzte und die Stirn runzelte. »Wie sahen sie denn aus?«
    »Sozusagen schlagfertig, Mr. Gowers.« Sam Clemens grinste milde. »Sind Sie in letzter Zeit mal jemandem auf die Füße getreten?«
    »Dauernd«, entgegnete John und seufzte. »Aber ich weiß auch nie genau, wem.« Er ließ sich noch ein wenig genauer beschreiben, was und wer im Süden auf sein Schiff wartete, wurde aber durch den Bericht seines scharf beobachtenden Kollegen nicht wesentlich klüger.
    »Freut mich, wenn ich Ihnen zu denken geben konnte.« Clemens wandte sich wieder der Doc Brown und ihrem ungeduldigen Kapitän zu. »Na dann, sonst meinen die oben in Kentucky noch, wir wären
abgesoffen, und fangen an, ergreifende Briefe an die Versicherung zu schreiben. Mast- und Schotbruch!«
    Noch einmal grinste er mit dem Charme eines alten Krokodils, denn natürlich besaß ein Mississippidampfer weder Masten noch Segelleinen. John hatte jedoch während ihrer kurzen gemeinsamen Zeit beim alten Bixby einmal von einem Sturm im Südpazifik erzählt, und Sam, der die Ufer des Flusses noch nie aus den Augen verloren hatte, trug ihm das noch immer ein wenig nach.
    »Danke verbindlichst«, sagte John und zog zum Abschied seine Mütze.
    »Mr. Clemens!«
    »Mr. Gowers!«

54.
    Barataria war ein Kunstwort. Barato bezeichnete im Spanischen einen wohlfeilen Kauf, Baratterie war im französischen Sprachgebrauch der Karibik ein Synonym für Betrug und barare , italienisch, bedeutete so viel wie falschspielen, schummeln. Miguel de Cervantes hatte 1615 im zweiten Teil des Don Quijote einen Ort namens Barataria erfunden und zu der »Insul« gemacht, auf der Sancho Pansa endlich seinen Gouverneursposten erhielt. Die literarisch gebildeten Brüder Laffitte hatten es amüsant gefunden, ihrer kleinen Schmugglerrepublik in den Sümpfen vor New Orleans diesen ebenso vielschichtigen wie zwielichtigen Namen zu geben.
    All das wusste Deborah nicht, als sie über vierzig Jahre später, im Sommer 1857, eine zu Tode erschöpfte Gruppe von sechsunddreißig entlaufenen Sklaven, Männern, Frauen und Kindern, an den Ort führte, der ihr als die letzte Zuflucht genannt worden war, wenn alles schiefginge. Nicht alles, aber doch das meiste war schiefgegangen, jedenfalls nach der annähernd zeitgleichen Flucht ihrer Schützlinge von nicht weniger als

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