Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)
und ließ sogar seine Kaution verfallen, um seinem Telegramm hinterherzureisen – obwohl er bereits vermutete, dass er zu spät kommen würde.
57.
Die körperliche Anstrengung tat ihm gut. Titokowaru hatte auf heiligen Pfaden den Mokau River überschritten und war damit nicht länger in der Provinz Taranaki, sondern in Greys County, nördlich davon. Er war allein unterwegs, und das war Ursache der Anstrengung, aber auch seines Vergnügens. Es gab niemanden, der seinen Proviant trug, niemanden, der den Weg auskundschaftete, sodass er manche Hügel, Abhänge zweimal hinauf- oder hinunterstieg. Es war aber auch niemand da, auf den er Rücksicht nehmen oder den er nach seiner Meinung fragen musste.
Er überlegte, wann er zuletzt so auf sich gestellt, frei, als sein eigener Herr unterwegs gewesen war, und kam auf einen Frühling vor sechsundzwanzig Jahren. Damals, als junger Methodistenlehrer, war er zwischen den weit verstreuten Dörfern hin und her gezogen, um Unterricht zu erteilen. Seither hatte er fast ohne Unterbrechung Männer angeführt, Kriegs- und Friedenspläne geschmiedet, Entscheidungen getroffen, und auch das war ein sehr einsames Leben, aber es war weniger schön. Ein Lächeln lag auf seinem entstellten Gesicht, als er sich an das Erwachen im Wald erinnerte, damals, die Morgenkühle, das frische Grün. Selbst die Luft war jünger gewesen. Nun war es Herbst geworden in seinem Leben, sein Schritt schwerer, und nur manchmal, für Sekunden, glaubte er, dass jener ferne Frühling noch neben ihm ging. Er bemerkte ihn aus den Augenwinkeln, aber wenn er hinsah, war er verschwunden.
Klug sind die Alten und weise, dachte der Häuptling der Ngaruahine, aber sie sind nicht jung.
Vor ihm lagen die Hügel der Mairoa Range, und das feine Rauschen im Tal des Mokau musste bereits von den Wasserfällen verursacht werden. Es war nicht mehr weit bis zu den Höhlen. Das gesamte Kalksteinplateau von Greys County war unterhöhlt,
ausgewaschen von unterirdischen Flüssen, deren Verlauf noch völlig unerforscht war und die keine Namen hatten. Titokowaru stieg hinab in die Unterwelt, um sich zu reinigen und um Antworten zu finden; immer wieder waren, durch die Jahrhunderte, Männer und Frauen zu diesem Zweck unter die Erde gegangen. Manche hatten Zeichen hinterlassen, manche waren darin gestorben. Man sah noch hier und da, oft an schwer zugänglichen Stellen, die Skelette dieser Sucher.
Der Häuptling fand unter riesigen Büschen grünen Farns einen niedrigen Einlass. Auf dem Bauch durch das träge fließende Wasser eines kleinen Bachs kriechend, gelangte er in die Erde. Erst nach einigen Dutzend Metern weitete sich der Gang so, dass er sich auf Händen und Knien fortbewegen konnte, aber noch strich die Oberwelt, strichen dünner werdende Baumwurzeln über seinen Rücken. Irgendwann fühlte er, dass der Raum um ihn weiter wurde, und als er sich aufsetzte, sah er die Lichter. Sie sahen aus wie der Sternenhimmel, aber er wusste, sein Vater hatte ihm beigebracht, dass es nur leuchtende Spinnweben waren, in denen blinde Spinnen das Gewürm der Unterwelt fingen, Käfer und im Boden lebende Insekten. Als er sich wieder aufrichten konnte, entzündete er die erste seiner Fackeln, um sich nicht von der trügerischen Schönheit der unterirdischen Lichter verwirren zu lassen, und bewegte sich weiter, immer weiter in die Erde hinein. Irgendwann konnte er stehen. Das Wasser, das seine Beine jetzt bis zu den Knien umspülte, war kalt. Er sah die gewaltige Arbeit, die es in Abertausenden Jahren vollbracht hatte, und hielt nach Zeichen Ausschau.
Erst als die Höhle sich so sehr geweitet hatte, dass er fast trockenen Fußes vorankam, suchte er sich einen Stein, einen Absatz, auf dem er sitzen konnte, und aß ein wenig von seinem Proviant. Die erste Fackel erlosch dabei, aber Titokowaru störte die Dunkelheit nicht. Er stellte vielmehr befriedigt fest, dass er die fluoreszierenden Lichter und damit das letzte Leben der Welt hinter sich gelassen hatte. Nachdem er gegessen hatte, begann er
im Dunkeln zu singen und lauschte auf den Klang seiner eigenen Stimme. Die Wände erstickten sie nicht, im Gegenteil. Irgendwo weit voraus hörte er die Steine antworten, von Biegung zu Biegung prallte sein Lied zurück, ehe es sich in der unbekannten, weglosen Tiefe verlor.
Er entzündete die zweite Fackel und ging weiter, fand aber keine Zeichen. Vielleicht war von Anbeginn der Welt kein lebendes Wesen hier gewesen. Er war allein und würde allein
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