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Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Fluch des Südens: Ein Fall für John Gowers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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bleiben. Niemand, nicht die Mutunga, Te Ati Awa oder Taranaki, wollte an der Seite der Ngaruahine kämpfen. Die Pakeha hingegen sammelten sich, es mochten schon an die tausend Männer sein. Titokowaru hatte noch sechzig Krieger. Fünfzehn zu eins; er war klug genug, um zu wissen, dass ein solcher Kampf zwar ehrenvoll, aber auf Dauer aussichtslos war, und wollte erfahren, unter der Erde, ganz bei sich selbst herausfinden, ob er ihn dennoch beginnen sollte.
    Der einsame Wanderer war jetzt bis zu einer Stelle vorgedrungen, an der der im Wasser gelöste Kalk wieder zu sintern begann. Er bemerkte es zuerst an den Wänden, die aussahen wie ein erstarrter, vielfach verwirbelter Fluss. Von oben, von unten, von überall wuchsen ihm nun Steine entgegen, und hier, an den Wurzeln der Berge, fand er, was er suchte. Das Skelett musste uralt sein, denn der Kalkstein hatte schon begonnen, es einzuschließen. Einige Knochen fehlten, vielleicht fortgerissen von der Strömung eines lange vergessenen Flusses, aber der Schädel starrte den Häuptling der Ngaruahine so vertraut an, als hätte er nur auf ihn gewartet, als hätte er von ihm gewusst, schon lange, bevor er geboren wurde.
    Titokowaru hockte sich auf die Fersen und hielt die Fackel so, dass der Schatten seines Körpers in die Augenhöhlen des namenlosen Suchers fiel. Lange hockte er so, aber erst als die Fackel erlosch, vollzog sich in der Dunkelheit die Vereinigung von Leben und Tod. Sie waren nun einander gleich.
    »Sag mir, was du weißt«, flüsterte Titokowaru.

58.
    Nell Fagan hatte noch nicht begriffen, dass sie die Sonne nie wieder sehen würde. Eine eben noch vertretbare Menge Morphium nahm ihr die Schmerzen, und so konnte sie die stark nach Jod riechenden Verbände um ihren Kopf frohgemut für die Anzeichen einer bevorstehenden Heilung halten. Die Dicke dieser Binden hinderte auch ihre tastenden Finger daran festzustellen, dass sie nur noch leere Augenhöhlen bedeckten. Ihre gebrochene Hand, ihren misshandelten Mund hatte man versorgt, und eigentlich war es ihr im Leben nie besser gegangen: Freundliche, aber bestimmt zugreifende Wärterinnen fütterten sie und kümmerten sich um ihre sonstigen leiblichen Bedürfnisse. So musste es sich anfühlen, wenn man reich war.
    Von ihrer »Familie« hatte man sie rasch getrennt, und erst während ihres Prozesses erfuhr sie, dass Cousins und Cousinen, ja selbst Onkel Sam Fagan, alle Schuld an nahezu allem ihr zugeschoben hatten. Ansonsten nahm sie nur wenig von dem wahr, was um sie herum vorging, und hörte auch ihr Todesurteil so gleichmütig mit an, als gälte es jemand anderem. Es musste ja jemand anderem gelten! Was für einen Sinn hatte es, eine so aufwendige medizinische Betreuung an eine zum Tode Verurteilte zu verschwenden,warum wurde sie wie eine Königin behandelt? Man würde sie begnadigen, ganz zuletzt. Nur das Klopfen und Hämmern, mit dem im Hof des Gefängnisses ihr Galgen errichtet wurde, verfolgte sie bis in den Schlaf. Aber ihre Blindheit machte es ihr ohnehin schwer, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden.
    Nells Henkersmahlzeit war das beste und reichlichste Essen, das sie in ihrem kurzen Leben zu sich genommen hatte. Und selbst als ihr die Arme auf den Rücken gebunden wurden, die rauen Hände der mildtätigen Frauen ihr die Röcke hoben und ihre Körperöffnungen mit Watte verstopften, damit sie nicht im
Todeskampf ihre weibliche Ehre beschmutze, fühlte sich das für Nell in ihrer Hilflosigkeit nicht anders an als die vorherige ungewohnte Behandlung. Sie glaubte noch immer nicht, dass sie sterben würde. Und sie schien recht zu behalten.
    John Gowers hatte lange überlegt, wie er noch einmal an die Hauptangeklagte im Maguire-Prozess herankommen könnte. Man hatte ihm bedeutet, dass er noch immer verdächtig und ohnehin nur unter Vorbehalt auf freiem Fuß sei; nur aufgrund der Angaben des unglücklichen Maguire  – und dessen Aussagen durften nach seiner wahnsinnigen Attacke auf Nell Fagan und seiner Unterbringung in einer Pflegeanstalt für Geisteskranke wieder als zweifelhaft gelten. Derart unzureichend entlastet, schien es für den Investigator, auch aufgrund der haltlosen Anschuldigungen, die er während des Prozesses gegen ein honoriges Mitglied des Stadtrates erhoben hatte, nicht ratsam, eine allzu große Nähe zum Gefängnis, zur Polizei und zu dem ganzen verfahrenen Fall zu suchen.
    Den Rest der Fagan-Bande zu sprechen, die als Geringschuldige zu langjährigen Gefängnisstrafen

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