Fluch von Scarborough Fair
gesagt hatte. Erneut packte sie das blanke Entsetzen– und verlieh ihr neue Kraft.
Sie riss den Blick von dem Elfenritter los und sah wieder auf ihren Pflug. Sie erinnerte sich an das, womit sie gerade beschäftigt war, und warum. Ihr war so, als hörte sie neben dem Heulen des Windes das Schlagen der Wellen der herannahenden Flut.
Blind vor Verzweiflung schob sie den Pflug an. Die Spitze des Horns brach ab, und sie musste das Horn durch ein neues ersetzen. Als sie sich hinkniete, stand der Elfenritter auf einmal neben ihr. Sie spürte seinen warmen Atem an ihrer Wange. Er roch nach Zimt, vermischt mit einem etwas herberen, undefinierbaren und verführerischen Duft.
» Du gehörst zu mir, Lucinda«, flüsterte der Elfenritter. » Das soll so sein. Und es wird dir gefallen, mehr als du denkst. Dafür kann ich sorgen. Weißt du das?«
Lucy fummelte an der Metallklammer herum, um das alte Ziegenhorn zu entfernen. Sie hatte kaum genug Kraft, um es herauszuziehen. Während sie sich bemühte, das neue Horn einzusetzen, riss der Strom seiner Worte nicht ab.
» Ich bewundere dich und deine trotzige Haltung, Lucinda. Du spielst das Spiel wirklich gut. Ich werde dich deswegen nicht bestrafen. Bist du nicht froh darüber und erleichtert?«
Die Halterung an dem neuen Horn schnappte ein. Aber gerade als Lucy aufstehen wollte, kam die nächste Wehe, und sie schrie auf.
» Arme, hübsche Lucinda. Hör auf zu kämpfen. Die Arbeit ist so schwer und sinnlos. Du wirst sowieso scheitern. Siehst du nicht, wie nah das Wasser schon ist? Du kannst die Arbeit nicht zu Ende bringen.«
Lucy stützte sich an der Schubkarre ab und richtete sich auf. Sie umklammerte den Griff und hechelte, während die Wehe abebbte. Obwohl sie nicht hinsehen wollte, wenn die Flut kam, tat sie es trotzdem.
» Siehst du?«, flüsterte der Elfenritter.
In Panik schob Lucy den Pflug wieder ein Stück. Es ging so schwer, so schwer.
» Hör jetzt auf«, flüsterte der Ritter wieder. » Setz ihn ab. Es bleibt dir noch genug Zeit, zu deinem Mann zu gehen. Willst du das nicht? Ich weiß, dass du ihn gern hast. Willst du nicht Auf Wiedersehen sagen? Ich werde dir deswegen keine Vorwürfe machen, süße Lucinda. Geh ruhig zu ihm.«
Lucy konnte nicht mehr einschätzen, wie viel Zeit ihr noch blieb. Auf jeden Fall nicht viel. Die Flut war nah. Sie hatte auch keine klare Vorstellung mehr davon, wie viele Reihen sie noch pflügen musste.
Und der Ritter hörte nicht auf zu flüstern. Verzweifelt versuchte sie, seine Stimme mit dem Einzigen zu übertönen, das ihr einfiel – mit Musik. Mit dieser verfluchten Ballade.
Erst summte sie das Lied in Gedanken, und dann sang sie laut gegen das Heulen des Windes an:
Gehst du zum Markt nach Scarborough?
Petersilie, Salbei, Thymian und Rosmarein.
Grüß mir einen, der dort wohnt.
Er wird immer meine wahre Liebe sein.
Lucy zog wieder eine Furche und streute den Samen hinein. Dabei wurde ihr gar nicht recht bewusst, dass sie den Text der Ballade verändert hatte. Sie sang sich den neuen Text noch einmal vor und setzte dann die Worte dem Flüstern des Elfenkönigs entgegen.
Er wird immer meine wahre Liebe sein. Während sie sang, sah sie im Geiste Zach vor sich. Sie schaffte noch eine Reihe.
Er wird immer meine wahre Liebe sein.
Dann unterbrach der Elfenritter ihren Gesang. Seine Stimme schlich sich wieder in ihr Ohr, und diesmal konnte sie sie nicht übertönen.
» Wenn du jetzt aufhörst, Lucinda, werde ich etwas für dich tun. Etwas, das dir gefallen wird. Wenn du dich weigerst, wirst du es später bereuen.«
» Was?« Lucy keuchte. » Was wollen Sie für mich tun?«
Mit zitternder Hand nahm sie einen Messbecher voll Kornstaubsand aus dem Sack und streute den Samen in die gerade gezogene Furche. Ihre Gedanken wanderten wieder zu dem Lied, und in ihrem Kopf hatte sie sich schon ihre eigene Version zurechtgelegt.
Ein Zauberhemd gefertigt ich ihm hab.
Petersilie, Salbei, Thymian und Rosmarein.
Ohne Nadel, Saum und Naht.
Er wird immer meine wahre Liebe sein.
Wieder sah sie im Geiste Zach vor sich.
Aber der Elfenritter war beharrlich, und seine Stimme drängte sich ihr auf.
» Hier ist mein Angebot. Du wirst nicht enden wie die anderen. Du wirst auf ewig mit mir leben, als meine wahre Liebe. Ich kann dafür sorgen. Du kannst das haben, was Fenella abgelehnt hat. Wolltest du nicht schon immer eine Märchenprinzessin sein? Die meisten Mädchen träumen davon. Nun kann dein Traum in Erfüllung gehen. Du bist
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