Fluch von Scarborough Fair
und Zach im Geburtsvorbereitungskurs gelernt. Und das, was Lucy gerade gespürt hatte, waren sicher nur diese Vorwehen. Schließlich musste sie heute noch einen Acker pflügen und Saatgut ausbringen. Sie musste, wollte und würde es tun.
Also bleib, wo du bist, sagte Lucy in Gedanken zu ihrer Tochter. Hör auf deine Mutter!
Draußen regnete und schneite es weiter. Zach schwieg und konzentrierte sich auf die Straße, die Meile um Meile an der schönen, nahezu verlassenen Küste entlangführte. Mit Erleichterung entdeckte er in der Nähe ein Krankenhaus. Sie fuhren an Sommerhäuschen vorbei, deren Fenster und Türen mit Brettern vernagelt waren. Nachdem sich Zach einmal verfahren hatte, fanden sie schließlich kurz nach elf Uhr morgens ein Gelände, wo sich der blanke Meeresboden über mehr als vierzig Ar zwischen Felsen, der Küste und einem Stück Sumpfland erstreckte.
Zach parkte den Wagen am Rand der unbefestigten Straße und stellte den Motor ab.
Sie hatten die Ebbe nur knapp verpasst. Lucy musste sich jetzt beeilen, aber das hatte sie sowieso vor. Obwohl sie sehr optimistisch gewesen waren, als sie auf bessere Wetterbedingungen gehofft hatten, hatte keiner von ihnen damit gerechnet, dass Lucy es da draußen zwölf Stunden aushalten könnte. Außerdem war es ratsam, noch bei Tageslicht fertig zu werden.
» Ich kann es in sieben Stunden schaffen«, hatte Lucy gestern erklärt.
Zach sah Lucy jetzt an. Bei ausgeschaltetem Motor konnten sie hören, wie Wind und Regen gegen den Wagen schlugen.
Lucy sieht blass und ängstlich aus, dachte Zach.
Zach sieht müde und besorgt aus, dachte Lucy.
Zach befeuchtete die Lippen, sagte aber kein Wort. Stattdessen streckte er die Hand aus, Lucy reichte ihm ihre und ihre Finger verflochten sich ineinander. Für ein paar kurze Augenblicke verharrten sie auf diese Weise. Mehr Zeit blieb nicht.
Zach half Lucy in ihren Daunenparka und wickelte ihr einen Schal um den Kopf. Lucy holte ein paar selbst gestrickte fingerlose Handschuhe von Soledad hervor, aber Zach riss sie ihr aus der Hand und streifte sie ihr nacheinander über.
Dann stiegen sie aus dem Wagen. Der Schneeregen prasselte auf sie nieder.
Zach nahm die zum Pflug umfunktionierte Schubkarre aus dem Kofferraum und reichte Lucy die Ersatzhörner für den Fall, dass das erste Ziegenhorn zerbrach.
Der Wind heulte.
Dann hob Zach den schweren Sandsack aus dem Kofferraum. Vor zwei Wochen hatte Lucy ein einzelnes Saatkorn in einem Mörser zu feinem Staub zermahlen und den Kornstaub mit dem Sand vermischt. Jetzt nahm sie Zach den Sack ab und hievte ihn in die Schubkarre. Sie packte die Schubkarre mit beiden Händen und hob sie versuchsweise an, obwohl ihr Bauch jetzt rund wie eine Wassermelone war.
» Du hast es doch im Garten geübt«, erinnerte Zach sie. Damit wollte er in erster Linie sich selbst beruhigen. » Du weißt, wie es geht.«
» Ja«, sagte Lucy.
Sie hatten die Anzahl der Furchen, die Geschwindigkeit und die Zeit genau berechnet und die Gezeitentabellen studiert. Sie wussten, wie schwer es werden würde.
Zach konnte nichts in Lucys Gesicht lesen, als sie jetzt vor ihm stand. Eigentlich wollte er ihr noch sagen, dass er draußen in der Kälte stehen bleiben würde, weil das das Einzige war, was er für sie tun konnte. Er wollte ihr sagen, dass er das nahtlose Hemd trug und dass er an sie glaubte. Aber alles, was zu sagen war, war bereits gesagt.
Zach hatte geglaubt, zu verstehen. Aber erst jetzt, in dem Sturm, in der Kälte und dem Eisregen wurde ihm die Situation unmissverständlich bewusst, und noch eines wurde ihm klar: Während Lucy stundenlang bei eisiger Kälte schwere körperliche Arbeit leisten musste und dabei Gefahr lief, dass es dunkel wurde und die Flut kam, konnte er nur dastehen und zuschauen.
Ein letztes Mal streichelte Zach Lucys Wange, und sie drehte ihren Kopf zur Seite und küsste die Innenfläche seiner Hand.
Dann trat er einen Schritt zurück, und Lucy schob den Schubkarrenpflug mit dem Sack voller Sand und Kornstaub unbeholfen und doch ruhig hinunter zum Rand der Bay of Fundy.
Kapitel 52
Lucy betrat den freigelegten Meeresboden und ging ein Stück weiter, um mit ihrer Arbeit landeinwärts zu beginnen. Vorsichtig schob sie die Schubkarre vor sich her, damit das neben dem Vorderrad angebrachte Horn den Meeresboden mit seiner Spitze harkte und in den Sand eine schmale Furche zog. Zuerst ging sie ganz langsam, aus Angst, die Spitze des Horns könne abbrechen. Doch der Meeresgrund war
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