Flucht aus der Zukunft
bei der Wäsche auftauchten. Vier fensterlose Wände, die sie einengten. Nein – es war mehr, als sie ertragen konnte. Sie verstand nicht, daß sie nicht schon längst Schluß gemacht hatte. Essen, schlafen, baden, lieben – alles in einem winzigen Raum. Tausende von Nachbarn, die in den gleichen Löchern steckten. Einmal im Jahr ein Picknick an einem Ort, der noch nicht ganz verbaut war – Brot und Spiele, macht die Proleten glücklich! Aber es tat weh, einen Baum zu sehen und dann wieder nach Appalachia zurückzukehren. Helaine fühlte sich elend. Das hatte sie nicht erwartet, als sie Norman Pomrath heiratete.
Die Kinder aßen und gingen in die Schule. Norm blieb in seiner Ecke und hörte immer noch sein Band. Hin und wieder tauschte er eine Neuigkeit mit ihr aus. »Danton will nächste Woche Dienstag ein neues Krankenhaus in Pazifika einweihen. Völlig automatisch, ein großer Homeostat und überhaupt keine technischen Mediziner. Hübsch, was? Die Ausgaben der Regierung werden gesenkt, wenn sie keine Angestellten zu bezahlen braucht. Und hör dir das an: Ab ersten Mai werden die Sauerstoffzuteilungen in allen Geschäftsgebäuden um zehn Prozent gesenkt. Sie behaupten, man wolle mit dieser Maßnahme mehr Sauerstoff an die einzelnen Haushalte liefern. Du wirst sehen, Helaine, im August spätestens kürzen sie auch den Haushaltssauerstoff. So geht es immer ...«
»Norm, reg dich nicht auf.«
Er hörte nicht auf sie. »Weshalb mußte uns das alles treffen? Wir haben ein Recht auf ein besseres Leben. Vier Millionen Menschen pro Quadratmeter. Soweit kommt es noch. Bauen wir die Häuser tausend Stock hoch, damit alle Platz bekommen und einen Monat brauchen, bis sie zur nächsten Schnellbootrampe kommen, aber was macht es? Das ist der Fortschritt! Das ist ...«
»Glaubst du, du kannst diesen Lanoy ausfindig machen und Arbeit durch ihn bekommen?« fragte sie.
»Was wir brauchen«, fuhr er fort, »ist eine Seuche. Selektiv, natürlich. Sie soll alle treffen, die keine Arbeitsqualifikationen nachweisen können. Damit wären die Stempler gleich um ein paar Milliarden weniger. Und das gesparte Geld kann man für Aufbauprogramme verwenden. Damit die übrigen Arbeit bekommen. Wenn das nichts nützt, muß man eben einen Krieg anfangen. Mit extraterrestrischen Feinden, mit dem Volk aus dem Krebsnebel. Einfach aus Patriotismus. Natürlich einen Krieg, den wir verlieren. Viel Kanonenfutter.«
Er schnappt noch über, dachte Helaine, als ihr Mann immer weiterredete. Es waren endlose Monologe, ganze Schwälle von Bitterkeit. Sie wollte nicht zuhören. Da er keinerlei Anstalten traf, die Wohnung zu verlassen, ging sie. Sie knallte das Geschirr in den Abfall und sagte: »Ich besuche die Nachbarn«, gerade als er sich über die Vorteile eines kontrollierten Nuklearkrieges zur Bevölkerungsverminderung ausließ. Leeres Geschwätz, das war alles, was Norm Pomrath zur Zeit fertigbrachte. Er mußte sich reden hören, damit er nicht ganz unterging.
Helaine fragte sich, wohin sie gehen sollte.
*
Beth Wisnack, die durch die Flucht ihres Mannes in die Vergangenheit Witwe geworden war, sah noch eingefallener, grauer und trauriger aus als bei Helaines letztem Besuch. Ihr Mund war vor unterdrückter Wut verkniffen. Unter der Oberfläche weiblicher Resignation lauerte der Haß. Wie konnte er es wagen, mir das anzutun? Wie konnte er mich so im Stich lassen?
Höflich bot Beth ihrem Gast eine Alkoholröhre an. Helaine lächelte, nahm das rote Plastikröhrchen und drückte es gegen den Armmuskel. Beth tat das gleiche. Die Ultraschall-Spitzen surrten. Das Anregungsmittel drang in den Blutstrom. Ein gutes Mittel für die, die die modernen Mixgetränke nicht mochten. Helaine entspannte sich. Sie horchte eine Zeitlang auf Beths gleichförmiges Gejammer.
Dann sagte Helaine: »Beth, kennst du einen gewissen Lanoy?«
Beth horchte sofort auf. »Lanoy? Welchen Lanoy? Wo hast du von ihm gehört? Was weißt du über ihn?«
»Nicht viel. Deshalb frage ich dich ja.«
»Ich habe den Namen gehört, das stimmt.« Ihre glanzlosen Augen belebten sich. »Bud hat ihn erwähnt. Ich hörte ihn mit einem anderen Mann darüber sprechen. Lanoy hin, Lanoy her ... Es war in der Woche, bevor er mich verließ. Lanoy, sagte er. Lanoy wird alles in Ordnung bringen.«
Helaine griff nach einem zweiten Alkoholröhrchen, ohne Beths Aufforderung abzuwarten. In ihrem Innern war plötzlich eisige Kälte.
»Was wird Lanoy in Ordnung bringen?« fragte sie.
Beth
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