Flucht aus der Zukunft
konnte jeden Augenblick durch die Laune eines Untergebenen zum Einsturz gebracht werden.
Die Stiche von einem guten Dutzend homeostatischer Einspritzungen erinnerten ihn daran, daß er seine Selbstbeherrschung wieder verlor.
»Ich brauche Giacomin«, sagte er.
Kurze Zeit später trat der Vizekönig ein. Er war durch den dringenden Ruf offensichtlich verwirrt. Kloofman hob sich halb aus dem Tank, und die Servomechanismen seines Körpers surrten schriller. »Ich wollte mich nur vergewissern, daß mein Befehl voll ausgeführt wird«, sagte er. » Keinerlei Eingreifen in die Zeitreisen! Ist das klar?«
»Natürlich.«
»Habe ich Sie beunruhigt, David? Sie halten mich wohl für einen streitsüchtigen alten Mann, dessen Gehirn man auffrischen müßte? Aber ich werde Ihnen erklären, weshalb ich mich sorge. Ich beherrsche die Gegenwart und in einem gewissen Sinne auch die Zukunft. Das stimmt doch, oder? Aber ich habe keinen Einfluß auf die Vergangenheit. Wie könnte ich auch? Ich sehe ein ganzes Zeitsegment, das jenseits meiner Autorität steht. Ich gebe zu, daß ich Angst habe. Sorgen Sie dafür, daß ich auch Autorität über die Vergangenheit bekomme, David. Sehen Sie zu, daß sie bleibt, wie sie ist. Was geschehen ist, muß geschehen.«
»Ich habe bereits die nötigen Schritte unternommen«, sagte Giacomin.
Kloofman entließ ihn. Er war immer noch nicht ganz beruhigt. Er ließ Mauberley rufen, den Klasse-Zwei-Beamten, der sich um Danton kümmerte. Da sich Kloofman für fast unsterblich hielt, dachte er selten an seine Nachfolge. Aber er hatte hohe Achtung vor Mauberley und betrachtete ihn als seinen möglichen Erben. Mauberley trat ein. Er war sechzig Jahre alt, stark und muskulös, mit einem ausdruckslosen Gesicht und dichtem, drahtigen Haar. Kloofman berichtete ihm kurz von der neuen Entwicklung. »Giacomin arbeitet bereits an der Sache«, erklärte er. »Beschäftigen Sie sich ebenfalls damit. Doppelt genäht hält besser. Lassen Sie Danton eine offizielle Erklärung herausgeben. Sie soll bis in Klasse Sieben verlesen werden. Es handelt sich um einen dringenden Aufruf.«
»Glauben Sie wirklich, daß schon Veränderungen der Vergangenheit stattgefunden haben, die auf unsere Aktion zurückzuführen sind?« fragte Mauberley.
»Nein. Aber es könnte sein. Wir würden es nie erfahren.«
»Ich werde die nötigen Maßnahmen treffen«, versprach Mauberley und ging.
Kloofman ruhte sich aus. Nach einer Weile verließ er das Nährbad und ließ sich in sein Büro bringen. Er war seit sechzehn Jahren nicht mehr an der Erdoberfläche gewesen. Die Welt war für ihn ein wenig unwirklich geworden. Doch das fand er nicht weiter schlimm, denn er wußte sehr gut, daß auch die Bewohner der Erde in ihm ein unwirkliches Wesen sahen. Gegenseitigkeit, dachte er. Das Geheimnis der guten Regierung. Kloofman lebte in einem Gewirr von Tunnels, die sich über Hunderte von Meilen erstreckten. Und noch immer waren Maschinen mit blinkenden Klauen dabei, sein Reich auszudehnen. Er hoffte, daß er in weiteren zehn Jahren eine Verbindung um die ganze Erde schaffen konnte. Seine Midgartschlange. Wenn er ehrlich war, brauchte er diese Transportwege nicht. Er konnte die Welt von einem einzigen Raum seines Reiches aus regieren. Aber er hatte auch seine Grillen. Was nützte es, wenn er der Beherrscher der Welt war und sich nicht hin und wieder eine kleine Laune leisten konnte?
Er glitt auf sanft schnurrenden Rollen in den Hauptsteuerraum und ließ sich von den Bediensteten an die Kontakte anschließen. Er fand es langweilig, von Ereignissen der Außenwelt in Worten unterrichtet zu werden. Und so war es eine von vielen Operationen gewesen, eine direkte Nervenverbindung zu den Datenspeichern zu schaffen. Kloofman wurde zu einem Teil des Komputers. Und jedesmal, wenn er sich anschließen ließ, überkam ihn eine Art Ekstase.
Er nickte, und die Daten strömten auf ihn ein.
Tatsachen. Geburten und Todesfälle, Krankheitsstatistiken, Transportverbindungen, Beförderungen, Kriminalitätszuwachs. Kloofman nahm alles in sich auf. Weit über ihm gingen Milliarden von Menschen ihren täglichen Beschäftigungen nach, und irgendwie trat er in das Leben eines jeden, und sie traten in sein Leben. Seine Aufnahmefähigkeit war natürlich begrenzt. Individuelle Schwankungen in den Daten konnte er nicht erkennen. Aber er konnte sie extrapolieren. Er wußte, daß genau in diesem Augenblick ein Zeitreisender den Sprung in die Vergangenheit machte. Ein Leben
Weitere Kostenlose Bücher