Flucht aus der Zukunft
Soviel mußte man ihm zugestehen.
»Klingt fair«, meinte Brand. »Aber ich habe kein gutes Gefühl dabei. Lanoy war sehr nett zu mir. Doch wenn ich umsonst ...«
»Ganz richtig, Brand.«
»Also gut, ich mache mit. Es ist wohl das einzig Mögliche.«
Quellen drehte die Sauerstoffzufuhr etwas zu. Brogg gab Leeward einen Wink, und der Untersekretär brachte Brand hinaus. »Unternehmen wir etwas, bevor er es sich anders überlegt«, sagte Quellen. »Er scheint noch zu schwanken.«
»Wollen Sie denn mitkommen, Sir?« fragte Brogg. In seinem unterwürfigen Tonfall war nur eine winzige Spur von Sarkasmus. »Es ist wahrscheinlich ein ziemlich schmutziger Stadtteil. Die Verbrecherviertel ...«
Quellen runzelte die Stirn. »Sie haben recht«, sagte er. »Ich brauche nicht mitzukommen. Nehmt ihr beide ihn fest. Ich habe im Hause genug zu tun.«
Sobald sie gegangen waren, ließ sich Quellen bei Koll melden.
»Wir haben eine heiße Spur«, sagte er. »Brogg und Leeward haben einen Mann verhaftet, der mit Lanoy Kontakt aufnehmen wollte. Er bringt sie zu dem Mann.«
»Gute Arbeit«, sagte Koll kühl. »Das wird sicher eine interessante Untersuchung.«
»Ich erstatte Ihnen Bericht, sobald ...«
»Lassen Sie das Thema eine Zeitlang ruhen. Spanner und ich diskutieren gerade über Verschiebungen innerhalb der Abteilung. Wir möchten in der nächsten Stunde nicht gestört werden.« Er legte auf.
Was sollte das nun wieder heißen? fragte sich Quellen. Die Kälte in Kolls Stimme – nun, es war nichts Ungewöhnliches, aber es war doch bedeutsam. Koll hatte ihn die ganze Woche wegen der Zeitreisengeschichte auf Trab gehalten. Und nun, da sie endlich einen Fortschritt gemacht hatten, nun, da sie einen Mann erwischt hatten, der sie zu dem geheimnisvollen Lanoy bringen konnte – da zeigte sich Koll ablehnend und völlig desinteressiert. Koll verbirgt etwas, dachte Quellen.
Sein Gewissen plagte ihn. Sofort kam das Mißtrauen wieder: Koll weiß über Afrika Bescheid. Die Reise, die ich letzte Nacht machte, wurde registriert. Es war das letzte Beweisstück, das er gegen mich brauchte. Jetzt werden sie die Verhaftung besprechen.
Zweifellos hatte man Brogg einen größeren Preis geboten, um sein Schweigen zu brechen. Und nun wußte Koll alles. Degradierung war das mindeste, was ihn erwartete.
Quellens Verbrechen war einmalig. Soviel er wußte, hatte es keiner außer ihm fertiggebracht, einen Weg aus dem überfüllten Appalachia zu finden, aus diesem steinernen Ungetüm, das sich über die östliche Hälfte Nordamerikas erstreckte. Von all den Millionen Einwohnern Appalachias hatte nur Joseph Quellen, Kriminalsekretär, die Klugheit besessen, ein Stück unregistriertes Land im Herzen Afrikas zu finden und sich dort ein zweites Heim zu bauen. Er konnte stolz darauf sein. Er besaß das übliche Klasse-Sieben-Apartment in Appalachia und eine Klasse-Zwei-Villa, von der die meisten Sterblichen nur träumten. Eine Villa an einem dunklen Strom im Kongo. Es war ein herrliches Leben für einen Mann, der gegen die höllischen Bedingungen von Appalachia rebellierte.
Aber es kostete viel Geld, wenn man Mitwisser bestechen mußte. Quellen bewegte sich auf sehr dünnem Eis.
Eine Degradierung hatte zur Folge, daß er sein Einzelapartment nicht mehr behalten durfte, daß er sein Heim wieder mit einem Marok teilen mußte.
Es war nicht so schlimm gewesen, als Quellen noch Klasse Zwölf und darunter war. Einem jungen Menschen machte die Gegenwart anderer nicht so viel aus. Er hatte in Junggesellen-Schlafsälen gehaust, ohne sich etwas dabei zu denken. Aber sobald er Klasse Acht erreicht hatte und mit einem einzigen Zimmergefährten eine Wohnung benutzen mußte, konnte er es kaum ertragen.
Auf seine Art war Marok bestimmt ein netter Kerl gewesen, überlegte Quellen. Aber er war ihm mit seiner Lässigkeit und Schlamperei auf die Nerven gegangen. Seine dauernde Anwesenheit und seine dauernden Telefongespräche hatten Quellen an den Rand der Verzweiflung gebracht. Quellen hatte sich nach dem Tag gesehnt, an dem er Klasse Sieben erreichen würde und für sich leben konnte. Er wollte frei sein – frei, um sich vor der Masse zu verstecken.
Wußte Koll die Wahrheit? Quellen würde es bald erfahren.
Unruhig ging er durch den langen Korridor zu den Monitorräumen. Er konnte ebensogut nachsehen, was man inzwischen über Norm erfahren hatte. Das braune Metalltor glitt zur Seite, als Quellen seine Handfläche auf die Identifizierungsscheibe preßte. Er
Weitere Kostenlose Bücher