Flucht aus der Zukunft
dachte er. Ihr schlanker Körper übte eine starke Anziehung auf ihn aus. Bei Helaine wirkte das Magere armselig und ausgezehrt, aber Judiths Körper hatte etwas Elegantes und Geschmeidiges. Quellen hätte sie am liebsten jetzt schon von dem Treffen weggebracht.
Aber erst mußte er noch die Zeremonie über sich ergehen lassen.
Die Mitglieder der Gruppe sammelten sich am Rand einer mit Teppichen ausgelegten Grube. Brose Cashdan als der Gastgeber holte eine glänzende, metallische Schüssel, in der eine teigige Masse von der Größe eines Männerkopfes ruhte. Das war die Substanz des Liebesfestes – ein unverdauliches Algenprodukt mit besonderen Eigenschaften, die einen Brechreiz hervorriefen. Zweifellos Mrs. Galubers Galaktosemangel angepaßt.
»Dr. Galuber hat sich freundlicherweise bereiterklärt, die Zeremonie zu eröffnen«, sagte Cashdan.
Die Lichter wurden gedämpft. Galuber nahm die glänzende Schale entgegen und stellte sie auf seine Knie. Dann nahm er feierlich eine Handvoll von dem Teig und stopfte ihn in sich hinein. Er begann zu kauen.
Es gab eine Menge Kulte. Quellen gehörte keinem davon an, aber nicht einmal er konnte es vermeiden, daß er hin und wieder an einer Zeremonie teilnehmen mußte. Im allgemeinen geschah es auf Judiths Drängen. Sie sah sich alles an, sie war ständig auf der Suche nach innerer Erfüllung. Und so rannte sie von Kult zu Kult, von Arzt zu Arzt. Quellen hatte sie sogar im Verdacht, daß sie schon verbotenen Kulthandlungen beigewohnt hatte, vielleicht gar der verbotenen Flaming-Bess-Religion. Er konnte sich vorstellen, wie Judith tanzte, während ein Verrückter die extrasensorische Flamme anzündete und wilde Stimmen nach einem Sturz der Hohen Regierung schrien. Noch vor einer Generation waren ein paar Mitglieder der Klasse Eins von diesen heulenden Feueranzündern ermordet worden. Der Kult lebte insgeheim immer noch fort.
Doch die meisten anderen Kulte waren harmlose Angelegenheiten – abstoßend vielleicht, aber nicht kriminell. So wie dieser hier. Durch das Kauen und Erbrechen der teigartigen Masse sollte eine Art Harmonie zwischen den Teilnehmern entstehen. Cashdan stimmte eine Verdauungslitanei an. Galuber stopfte sich immer noch den Teig in den Mund. Wieviel hatte wohl noch in seinem Fettbauch Platz? Jennifer Galuber betrachtete ihren Gatten voller Stolz. Der Arzt schlang immer noch. Sein Gesicht war verwandelt, seine Blicke gingen ins Leere. Jennifer glühte.
Sie sangen jetzt alle. Auch Judith. Leise, getragene Klänge.
Sie stieß ihn an. »Du auch«, flüsterte sie.
»Ich kenne den Text nicht.«
»Dann summe einfach mit.«
Er zuckte mit den Schultern. Galuber hatte die letzten Reste der Teigmasse verschlungen. Sicher war sein Bauch schmerzhaft aufgequollen. Das Zeug war wie Gummi. Und das Mittel, das den Brechreiz auslöste, wirkte erst, wenn man soviel im Magen hatte, daß die peristaltischen Bewegungen begannen. Dann konnte das Erbrechen losgehen.
Judith, die neben Quellen saß, bat darum, in das Einssein aufgenommen zu werden. Ein Nirwana durch Aufstoßen, dachte Quellen kühl. Wie war das möglich? Und was tat er hier? Der Singsang brach sich an den Glaswänden und machte ihn ganz taub. Es war ein Wechselgesang, und er konnte nicht umhin, im Rhythmus mitzuschwanken. Seine Lippen bewegten sich. Er hätte mitgemacht, wenn er die Worte gekannt hätte. Er bemerkte, daß er vor sich hinsummte. Cashdan, der die Zeremonie immer noch leitete, wurde lauter. Er hatte einen großartigen Baß mit einer starken Resonanz.
Galuber saß reglos in der Mitte der Grube. Seine Augen waren geschlossen. Die Hände lagen auf dem Bauch. Er hatte ein gerötetes Gesicht. Er allein saß still im Mittelpunkt der schwankenden Versammlung. Quellen zwang sich, ein objektiver Beobachter zu bleiben. Er sah, wie Judiths Gesicht in innerer Ekstase erstrahlte. Ein junger Mann, der an einen Zwitter erinnerte, schnellte hin und her, als habe er einen Hochspannungsdraht berührt.
Endlich war Dr. Galuber soweit.
Der Arzt übergab sich mit ruhiger Würde. Schweiß stand auf seiner geröteten Stirn. Peristaltische Bewegungen strengten immer an, auch wenn das Schmerzzentrum durch einen besonderen Zusatz besänftigt war. Mit Anstand hielt er bis zum Ende durch. Die Schale war gefüllt.
Sie wurde herumgereicht.
Hände umklammerten den feuchten Teig. Nimm und iß, hier ist die Substanz der Gruppe. Sei eins mit der Gruppe. Brose Cashdan aß. Jennifer Galuber aß. Judith nahm ihre Portion
Weitere Kostenlose Bücher