Flucht aus der Zukunft
Dinge einmischen? Die Geburtenkontrolle erfolgte auf humanerem Weg. Man beeinflußte die Fruchtbarkeit, nicht die Potenz. Zwei Kinder pro Ehepaar, und damit Schluß. Wenn sie nur ein Kind erlaubt hätten, wäre das Überbevölkerungsproblem einigermaßen gelöst gewesen, aber leider gab es starke Gruppen, die auf der Zwei-Kinder-Familie beharrten. So blieb die Bevölkerung gleich oder verminderte sich sogar etwas – wenn man Junggesellen wie Helaines Bruder Joe in Betracht zog, oder Paare, die sich zur Kinderlosigkeit verpflichtet hatten – aber einen wirklichen Fortschritt sah man nicht.
Es war also unlogisch, wenn die Hohe Regierung den sexuellen Trieb abschaffen wollte. Sex war die Beschäftigung der Proleten. Ein kostenloses Vergnügen. Man brauchte keinen Job, und die Zeit verging schneller. Helaine beschloß, nicht mehr auf die dummen Gerüchte zu achten. Sie zweifelte daran, daß der Komputer etwas Derartiges zu Noelle gesagt hatte. Weshalb sollte er überhaupt mit ihr sprechen? Sie war nichts als eine alberne Gans.
Natürlich, sicher wußte man es nie. Die Hohe Regierung konnte auf unmögliche Ideen kommen. Man brauchte nur an die Sache mit den Zeitreisen denken. Ob es sie wirklich gab? Nun ja, man hatte die Geschichtsschreibung vergangener Jahrhunderte als Beweis, aber angenommen, es handelte sich um einen Betrug, um die Leute zu verwirren? Was war wirklich, und was war Einbildung?
Helaine seufzte. »Wie spät?« fragte sie.
»Zehn vor drei«, antwortete die kleine Uhr im Ohr sanft.
Die Kinder würden bald von der Schule heimkommen. Der kleine Joe war sieben und Marina neun. In diesem Alter hatten sie noch eine gewisse Unschuld, soweit man das von Kindern behaupten kann, die zusammen mit ihren Eltern in einem Raum hausen. Helaine wandte sich an die Nahrungsbox und programmierte das Essen mit raschen, nervösen Handbewegungen. Sie war kaum fertig, als die Kinder erschienen.
Sie begrüßten sie, und Helaine wies auf die Box. »Setzt euch und eßt etwas.«
Joseph grinste sie freundlich an. »Wir haben heute Kloofman in der Schule gesehen. Er sieht wie Daddy aus.«
»Natürlich«, sagte Helaine. »Die Hohe Regierung hat nichts anderes zu tun, als Klassenzimmer zu besuchen. Und wenn Kloofman Daddy ähnlich sieht, dann nur ...« Sie unterbrach sich. Sie hatte etwas Spöttisches sagen wollen, aber Joseph merkte sich die Dinge recht genau. Er würde den Satz wiederholen, und am nächsten Tag hatte sie die Untersuchungsbeamten am Halse.
Marina mischte sich ein. »Es war ja gar nicht der echte Kloofman. Sie zeigten an der Wand Bilder von ihm.« Sie stupste ihren Bruder an. »Glaubst du vielleicht, daß Kloofman in deine Klasse kommen würde? Dazu hat er viel zu wenig Zeit.«
»Marina hat recht«, sagte Helaine. »Hört zu, Kinder. Ich habe euer Essen programmiert. Danach fangt ihr gleich mit den Hausaufgaben an, ja?«
»Wo ist Daddy?« fragte Joseph.
»Er ging zur Arbeitsvermittlung.«
»Meinst du, daß er heute etwas findet?« wollte Marina wissen.
»Schwer zu sagen.« Helaine lächelte ausweichend. »Ich besuche jetzt Mrs. Wisnack.«
Die Kinder aßen. Helaine ging einen Stock höher zum Appartment der Wisnacks. Das Türschild zeigte an, daß Beth daheim war, und so meldete sich Helaine an und wurde hereingelassen. Beth Wisnack nickte ihr wortlos zu. Sie sah entsetzlich müde aus. Sie war eine kleine Frau um die Vierzig, mit dunklen, vertrauensvollen Augen und stumpfem Haar, das zu einem festen Knoten zurückgekämmt war. Ihre beiden Kinder, auch ein Junge und ein Mädchen, saßen mit dem Rücken zur Tür und aßen.
»Etwas Neues?« fragte Helaine.
»Nichts. Er ist fort, Helaine. Sie wollen es noch nicht zugeben, aber er hat den Sprung gemacht, und er wird nicht wiederkommen. Ich bin Witwe.«
»Und die Televektor-Suche?«
Die kleine Frau zuckte mit den Schultern. »Nach dem Gesetz müssen sie ihn acht Tage eingeschaltet lassen. Dann geben sie es auf. Sie haben die Registrierlisten von Zeitreisenden durchsucht, aber ein Wisnack ist nicht dabei. Das heißt natürlich gar nichts. Nur sehr wenige gaben ihre wirklichen Namen an, als sie in der Vergangenheit ankamen. Und bei den ersten fügten sie nicht einmal Beschreibungen bei. Das ist also kein Beweis. Aber er ist fort. Ich bewerbe mich nächste Woche um die Pension.«
Helaine spürte das Gewicht von Beths Elend wie eine dumpfe Feuchtigkeit. Sie hatte Mitleid mit ihr. Das Leben in Klasse Vierzehn war nicht schön, aber in schlechten Zeiten konnte
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