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Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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Inkarnation, war Tsong Khapa, ein sehr wichtiger tibetanischer Lama, 1555 geboren. Man hat das Kloster Kum-Bum an seiner Geburtsstätte errichtet.«
    Ich nickte, da ich keine Worte fand. Schließlich füllte ich unsere kleinen Gläser auf, und wir sprachen einen Toast auf Kunga Norbus Alter. Er schüttete das Chang wirklich in sich hinein, als hätte er mehrere Leben Übung darin. »So«, sagte ich und rechnete nach. »Dann ist er etwa 431.«
    »Genau. Und ich kann dir sagen, er hat ein schweres Leben gehabt. Die Chinesen rissen Kum-Bum nieder, kaum, daß sie das Land übernommen hatten, und bis das Kloster dort wieder aufgebaut ist, muß Tsong Khapa ein Jünger bleiben. Verstehst du, obwohl er ein großer Tulku ist …«
    »Ein großer Tulku«, wiederholte ich; mir gefiel der Klang der Worte.
    »Ja, obwohl er ein großer Tulku ist, ist er immer der Jünger eines noch größeren namens Dorjee gewesen. Dorjee Lama ist so ziemlich der wichtigste überhaupt – nur der Dalai Lama steht noch über ihm –, und Dorjee ist ein strenger, strenger Guru.«
    Mir fiel auf, daß Kunga Norbu bei der Erwähnung von Dorjees Namen die Stirn gerunzelt und sein Glas aufgefüllt hatte.
    »Dorjee ist so hart, daß der einzige Jünger, der es je bei ihm ausgehalten hat, unser Kunga hier ist. Dorjee – wenn man sein Student werden will und ihn fragt, schlägt er einen mit einem Stock. Er macht das ein paar Jahre lang, um sich zu vergewissern, daß man ihn wirklich als Lehrer haben will. Und dann nimmt er einen echt durch die Mangel. Anscheinend benutzt er die Methoden der Ts'an-Sekte aus China, die ziemlich grob sind. Um einem den Kurzen Weg zu zeigen, schlägt er einen mit seinem Schuh auf den Kopf.«
    »Jetzt, da du es erwähnst … er sieht wirklich ein wenig aus wie ein Bursche, dem man mit einem Schuh auf den Kopf geschlagen hat.«
    »Was kann er dafür? Er ist seit über vierhundert Jahren Dorjees Schüler, und es ist immer dasselbe. Also hat er Dorjee gefragt, wann er ein Guru aus eigenem Recht sein würde, und Dorjee sagte, erst, wenn das Kloster auf Kungas Geburtsstätte wieder aufgebaut sei. Und er sagte, daß das niemals geschehen würde, wenn es Kunga nicht gelänge, eine … na ja, eine gewisse Aufgabe zu erfüllen. Ich kann dir noch nicht genau sagen, was das für eine Aufgabe ist, aber glaub' mir, sie ist schwer. Und Kunga war früher mein Guru, verstehst du, und so kam er zu mir und hat mich um Hilfe gebeten. Und deswegen bin ich also hier.«
    »Ich dachte, du hättest gesagt, du würdest mit deinen englischen Freunden den Lingtren erklettern?«
    »Das werde ich auch.«
    Ich war mir nicht sicher, ob es am Chang oder dem Rauch lag, aber ich war etwas verwirrt. »Na ja, was auch immer. Das klingt nach einem echten Abenteuer.«
    »Darauf kannst du wetten.«
    Freds sprach auf Tibetanisch mit Kunga Norbu, anscheinend, um ihm zu erklären, was er mir gesagt hatte. Schließlich antwortete Kunga ausführlich.
    »Kunga meint, du könntest ihm auch helfen«, sagte Freds zu mir.
    »Ich glaube, ich passe«, sagte ich. »Weißt du, ich habe meine Trekking-Gruppe.«
    »O ja, ich weiß. Außerdem wird es ziemlich hart werden. Aber Kunga mag dich – er sagt, du hättest den Geist von Naropa.«
    Kunga nickte nachdrücklich, als er den Namen Naropa hörte, und sah mit diesem in die Ferne gerichteten Blick durch mich hindurch.
    »Das freut mich zu hören«, sagte ich. »Aber ich glaube, ich passe trotzdem.«
    »Wir werden ja sehen, was passiert«, sagte Freds und schaute nachdenklich drein.

2

    Viele Gläser Chang später taumelten wir in die Nacht hinaus. Freds und Kunga Norbu zogen ihre Jacken an und wanderten mit einem »Gute Nacht!« und einem »Guten Morgen!« zu ihrem Zelt davon. Ich kehrte zu meiner Gruppe zurück. Es kam mir schon sehr spät vor, war aber erst halb neun.
    Als ich dort stand und unser Zeltdorf betrachtete, sah ich, wie ein Licht den Trail von Lukla hinabholperte. Der Mann, der die Taschenlampe trug, kam näher – es war Laure, der Sirdar meiner Gruppe. Er hatte Kunden nach Lukla zurückgeführt und war nun auf dem Rückweg. »Laure!« rief ich leise.
    »Hallo, George«, sagte er. »Warum spät jetzt?«
    »Ich habe getrunken.«
    »Ah.« Obwohl er die Taschenlampe auf den Boden gerichtet hatte, konnte ich leicht sein breites Grinsen ausmachen. »Gute Idee.«
    »Ja, du solltest dir auch ein Chang gönnen. Du hast einen langen Tag gehabt.«
    »Nicht lang.«
    »Klar.« Er hatte den ganzen Tag über verärgerte Kunden

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