Flucht aus Katmandu
nach Lukla zurückgeführt und mußte also mindestens fünfmal so weit marschiert sein wie der Rest von uns. Und jetzt kam er im Licht der Taschenlampe zurück. Dennoch war es für den Sherpa Laure Tenzing wohl kein besonders schwerer Tag gewesen. Als Führer und Yakhirte war er schon sein ganzes Leben in diesen Bergen gewandert, und seine Waden waren so dick wie meine Oberschenkel. Einmal hatten er und drei Freunde aus Jux einen Rekord aufgestellt, indem sie in vier Tagen vom Everest Base Camp nach Katmandu gewandert waren; das sind etwa dreihundert Kilometer, hauptsächlich über sehr unebenes Land. Verglichen damit war das heutige Pensum wohl eher ein Spaziergang zum nächsten Briefkasten.
Das größte Problem waren zweifellos die Kunden gewesen. Ich erkundigte mich danach, und er runzelte die Stirn. »Leute in Hotel gehen, nicht glücklich. Sehr, sehr nicht glücklich. Sie zurückfliegen Katmandu.«
»Gut, daß wir sie los sind«, sagte ich. »Warum trinkst du nicht ein Chang?«
Er lächelte und verschwand in die Dunkelheit.
Ich schaute zu den Zelten hinüber, in denen meine schlafenden Kunden lagen, und seufzte.
Bislang war es ein typischer Videotrek gewesen. Wir waren von Katmandu nach Lukla geflogen. Meine Kunden, die von Hochglanzanzeigen nach Nepal gelockt worden waren, die ihnen versprochen hatten, auf Teufel komm raus Videoaufnahmen machen zu können, hatten im Flugzeug verrückt gespielt, waren durch den Gang gelaufen, hatten sich gegenseitig mit ihren Zoom-Linsen beworfen und so weiter. Sie waren unbändig, bis sie die Landepiste von Lukla sahen, die aus der Luft aussieht wie das Spielzeugmodell einer Skischanze. Ziemlich rasch saßen sie dann auf ihren Plätzen, schnallten sich an und schauten drein, als wollten sie ihr Testament machen – alle bis auf einen molligen kleinen Burschen namens Arnold, der weiterhin wie eine Kegelkugel den Gang auf und ab rollte und sich schließlich ins Cockpit drängte, um den Piloten über die Schultern filmen zu können. »Wir landen in Lukla«, sprach er mit tiefer, betont pathetischer Stimme ins Mikro seiner Kamera, wie der Erzähler eines schlechten Reiseberichts. »Sieht unmöglich aus, aber unsere Piloten sind ganz ruhig.«
Trotz seiner Anwesenheit landeten wir sicher. Leider versuchte dann einer aus unserer Gruppe zu filmen, wie er das Flugzeug verließ, und stürzte schwer die Treppe hinunter. Als ich dann den Schaden begutachtete – ein verstauchter Knöchel –, war Arnold wieder da und beugte sich über uns, um jedes Zucken und Heulen des Opfers für die Ewigkeit festzuhalten.
Eine zweite Maschine flog den Rest unserer Gruppe ein, begleitet von Laure und meiner Assistentin Heather. Wir machten uns auf den Weg. Ein paar Stunden lang ging alles gut – der Trail ist hier gleichzeitig die Hauptverkehrsstraße der Gegend und problemlos zu bewältigen. Und die Aussicht ist ehrfurchtgebietend – das Dudh Kosi-Tal sieht aus wie ein bewaldeter Grand Canyon, nur größer. Unsere Gruppe war beeindruckt, und mehrere Kunden filmten den ganzen Tag über.
Dann senkt sich der Trail zum Ufer des Dudh Kosi, und wir erlebten eine Überraschung. Anscheinend hatte der letzte Monsun den Eisdamm eines flußaufwärts liegenden Gletschersees zerstört, und das Wasser war als alles vernichtende Flut hinabgeströmt und hatte die Brücken, Steige, Bäume, einfach alles, mit sich gerissen. So endete unsere schöne Hauptverkehrsstraße abrupt an einer Klippe über dem zerwühlten Flußbett, und die örtlichen Träger, für die der Trail eine tägliche Notwendigkeit war, hatten sich auf den Hosenboden gesetzt und einen neuen Pfad gebahnt. Sie waren dabei ziemlich clever vorgegangen, doch es gab wirklich keine gute Alternative zu der alten Strecke; und so wand sich der neue Trail über verstreute weiße Felsbrocken im Flußbett, führte über unstabile neue Sandbänke und hob und senkte sich über schlammige Hänge, die man auf den dicht bewaldeten Felswänden freigehauen hatte. Es war eine schwierige Strecke, und selbst erfahrene Trekker hatten ihre Probleme damit.
Unsere Gruppe war entsetzt. Davon hatte nichts in den Anzeigen gestanden.
Die Träger liefen barfuß zur nächsten Teestube voraus, und die Kunden blieben im Schlamm stecken. Sie rutschten aus und heulten. Mehr als einmal wurde die Höhenkrankheit erwähnt, obwohl wir in Wirklichkeit nicht viel höher als Denver waren. Heather und ich liefen hin und her und ermutigten die Müden. Ich trug schließlich drei
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