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Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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unter der Rauchschicht zu bleiben, und außerdem erschien uns es ganz natürlich, allmählich unter den Tisch zu rutschen. Schließlich lagen wir da wie ein Schluck Wasser in der Kurve.
    Freds unterhielt sich mit Kunga Norbu weiterhin auf Tibetanisch, und ich wurde neugierig. »Freds, du sprichst kaum ein Wort Nepalesisch, wie kommt es da, daß du so gut Tibetanisch kannst?«
    »Ich habe ein paar Jahre in Tibet verbracht. Ich studierte in den buddhistischen Lamaklostern.«
    »Du hast in buddhistischen Lamaklostern in Tibet studiert?«
    »Na klar! Sieht man das nicht?«
    »Na ja …« Ich machte eine nichtssagende Handbewegung. »Ich glaube, das erklärt es wohl …«
    »Dort habe ich übrigens auch Kunga Norbu kennengelernt. Er war mein Lehrmeister.«
    »Ich dachte, er sei Bergsteiger.«
    »Ist er auch! Er ist ein kletternder Lama: Es gibt übrigens ziemlich viele davon. Weißt du, als die Chinesen in Tibet einfielen, schlossen sie alle Klöster, zerstörten die meisten sogar. Die Mönche mußten jetzt arbeiten, und die Lamas gingen entweder nach Nepal oder zogen zu den Berghöhlen hinauf. Später wollten die Chinesen dann zu Propagandazwecken mit dem Bergsteigen anfangen, um zu zeigen, wie richtig die Gedanken des Vorsitzenden Mao gewesen waren. Die Höhe des Himalaja machte ihnen aber ziemlich zu schaffen, und so benutzten sie hauptsächlich Tibetaner, die sie als Chinesen ausgaben. Und als Tibetaner mit der größten praktischen Bergerfahrung erwiesen sich die buddhistischen Mönche, die ziemlich viel Zeit in wirklich hochgelegenen, abgeschiedenen Schlupfwinkeln verbracht hatten. Acht der neun sogenannten Chinesen, die 1975 den Gipfel des Everett bezwangen, waren in Wirklichkeit Tibetaner.«
    »War Kunga Norbu einer davon?«
    »Nein. Obwohl er gern dabeigewesen wäre, das kann ich dir sagen. Aber er kam bei der chinesischen Expedition 1980 ziemlich weit die Nordwand hinauf. Er ist ein wirklich starker Kletterer. Und auch ein großer Guru, ein echter Heiliger.«
    Kunga Norbu hatte mitbekommen, daß wir über ihn sprachen, und betrachtete mich über den Tisch. Er war klein und drahtig, hatte langes schwarzes Haar und sah sehr zäh aus. Wie viele Tibetaner wirkte er fast wie ein Indianer vom Stamm der Navajos oder Apachen. Als er mich ansah, stellte sich ein seltsames Gefühl bei mir ein: Es war, als würde er glatt durch mich hindurch in die Unendlichkeit sehen. Oder zu einem anderen, genauso weit entfernten Ort. Die Lamas haben diesen Blick zweifellos kultiviert.
    »Und was macht ihr beiden also hier oben?« fragte ich; mir war etwas unbehaglich zumute.
    »Wir wollen mit meinen englischen Freunden den Lingtren besteigen. Müßte toll werden. Und danach unternehmen Kunga und ich vielleicht noch was auf eigene Faust.«
    Wir stellten fest, daß wir den Krug Chang geleert hatten, und bestellten noch einen. Wenn wir so weitermachten, würde man uns nicht einmal mehr mit einem Schluck Wasser in der Kurve vergleichen können.
    Plötzlich sagte Kunga Norbu etwas zu Freds und deutete auf mich. »Wirklich?« sagte Freds, und sie wechselten noch ein paar Worte. Schließlich wandte Freds sich an mich. »Tja, das ist eine ziemlich große Ehre, George. Kunga möchte, daß ich dir sage, wer er wirklich ist.«
    »Sehr nett von ihm«, sagte ich. Ich stellte fest, daß ich den ganzen Kopf bewegen mußte, um zu sprechen, da ich mit dem Kinn auf dem Tisch lag.
    Freds senkte die Stimme, was mir unnötig vorkam, da wir die beiden einzigen Menschen im Raum waren, die Englisch sprachen. »Weißt du, was ein Tulku ist, George?«
    »Ich glaub' schon«, sagte ich. »Einige der buddhistischen Lamas hier oben sollen Reinkarnationen früherer Lamas sein, und sie werden Tulkus genannt, nicht wahr? Der Abt von Tengboche soll einer sein.«
    Freds nickte. »Das stimmt.« Er schlug Kunga Norbu auf die Schulter. »Na ja, unser Kunga hier ist auch ein Tulku.«
    »Ich verstehe.« Ich überlegte, wie man sich in solch einer Situation zu verhalten hatte, doch mir fiel wirklich nichts ein, und so hob ich schließlich mühsam das Kinn vom Tisch und streckte die Hand aus. Kunga Norbu ergriff und schüttelte sie mit einem bescheidenen Lächeln.
    »Ich meine es ernst«, sagte Freds.
    »He!« sagte ich. »Habe ich behauptet, du würdest es nicht ernst meinen?«
    »Nein. Aber du glaubst es nicht, oder?«
    »Ich glaube, daß du es glaubst, Freds.«
    »Er ist wirklich ein Tulku! Ich meine, ich habe Beweise gesehen, wirklich! Sein Ku kongma, also seine erste

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