Flucht aus Katmandu
versuchte, mit ihm Schritt zu halten, und ich sage dir, ich raste den Trail runter, und Kunga war trotzdem so schnell, daß ich ihn bald aus den Augen verlor. Er machte große, lange Schritte, als wolle er jeden Augenblick abheben! Ich konnte es einfach nicht glauben!«
Freds schüttelte den Kopf. »Das war das erste Mal, daß ich sah, wie Kunga Norbu in den Lunggom-Seinszustand fiel. Das bedeutet mystischer Langstreckenlauf und war früher mal echt beliebt in Tibet. Ein Adept wie Kunga wird Lung-gom-pa genannt, und wenn man es erst mal beherrscht, kann man echt schnell echt weit laufen. Sogar ein bißchen levitieren. Du hast es heute ja selbst gesehen – unter diesem Eisblock legte er eine Lung-gom-Bewegung vor.«
»Ich verstehe«, sagte ich ziemlich benommen. »He!«, rief ich Laure zu, der noch immer mit dem Gaskocher beschäftigt war. »Laure! Freds sagt, daß Kunga Norbu ein Tulku ist!«
Laure nickte lächelnd. »Ja, Kunga Norbu Lama sehr guter Tulku!«
Ich atmete tief ein. Drüben im Schnee saß Kunga Norbu mit überkreuzten Beinen und blickte auf sein Land hinaus. Oder sonstwo hin. »Ich glaube, jetzt wäre ein Haschpfeifchen nicht schlecht«, sagte ich zu Freds.
10
Wir brauchten zwei Tage, um Arnold und die Briten einzuholen, zwei Tage mühsamer Plackerei den Westsattel des Everest hinauf. Hier gab es keine komplizierten Hindernisse: eine weitläufige Steigung aus hartem Schnee, und wir mußten nur die Steigeisen einschlagen und uns an ihnen hochziehen. Es war eine mörderische Arbeit. Das schien allerdings nicht für Freds, Laure und Kunga Norbu zu gelten. Es mag ja seine Vorteile haben, den Everest mit einem Tulku, einem Langstreckenmeister der Sherpas und einem amerikanischen Raumkadett zu besteigen, aber längere Rasten sind bei ihnen nicht gerade beliebt. Diese drei marschierten den Berg wie zu einem Tubamarsch hinauf, und ich schleppte mich keuchend und schnaubend hinterher und verdammte Arnold mit jedem Schritt.
Spät am zweiten Tag kämpfte ich mich auf die Kuppe des Westsattels hinauf, eine lange, schneebedeckte Wasserscheide unter dem eigentlichen Westgrat. Als ich dort oben eintraf, hatten Freds und Laure bereits das Zelt aufgeschlagen und sicherten es mit einem Netzwerk aus Kletterseilen im Schnee, während Kunga Norbu daneben saß und meditierte.
Weiter unten den Sattel hinab lagen die Camps zweier anderer Teams, ziemlich eng beeinander, als gäbe es hier nicht jede Menge flachen Grund, auf dem man die Zelte aufschlagen konnte. Nachdem ich mich ausgeruht und mehrere Becher heißer Zitrone getrunken hatte, sagte ich: »Dann wollen wir mal herausfinden, wie die Dinge stehen.« Freds ging mit mir hinüber.
Wie es sich herausstellte, standen die Dinge nicht so gut. Die Engländer waren in ihrem Zelt, bis zu den Hüften in ihren Schlafsäcken, und tranken Tee. Und sie waren keiner guten Laune. »Der Mann ist absolut verrückt«, sagte Marion. Sie litt unter leichtem Höhenhusten, und jede Silbe, die sie zu betonen versuchte, verschwand völlig. »Wir haben ups versucht, ihn abzuhängen, aber die Sherpas sind gut, und er ist ups stark.«
»Ein verdammter Blutsauger ist er«, sagte John.
Trevor grinste grimmig. Seine untere Gesichtshälfte war ziemlich sonnenverbrannt, und seine Lippen sprangen schon auf. »Wir zählen darauf, daß du ihn wieder runterbringst, George.«
»Ich will sehen, was ich tun kann.«
Marion schüttelte den Kopf. »Bei Gott, wir haben es versucht, aber es hat überhaupt keinen Sinn. Er hört einfach nicht zu und plappert nur davon, daß er mich zu einem Staa machen will. Ich weiß nicht, wie ich mit ihm fertig werden soll.« Sie errötete. »Und keiner dieser tapferen Jungs da ist einverstanden, daß wir einfach rübergehen und seine verdammte Kamera nehmen und sie nach Tibeee werfen!«
Die Männer schüttelten die Köpfe. »Wir müßten mit den Sherpas fertig werden«, sagte Mad Tom geduldig zu Marion. »Was sollen wir denn tun, uns mit ihnen prügeln? Das kann ich mir nicht mal vorstellen.«
»Und wenn Mad Tom es sich nicht vorstellen kann«, sagte Trevor.
Marion knurrte nur.
»Ich werde mit ihm sprechen«, sagte ich.
Aber ich mußte dafür nirgendwo hingehen, denn Arnold war herübergekommen, um uns zu begrüßen. »Hallo!« rief er fröhlich. »George, was für eine Überraschung! Was führt euch denn hierher?«
Ich ging aus dem Zelt. Arnold stand vor mir; er hatte zwar einen Sonnenbrand, schien ansonsten aber in Ordnung zu sein. »Du weiß, was mich
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