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Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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um – was für ein Gefühl! Es war wirklich unbeschreiblich. Es gibt nur vier oder fünf Berge auf der Erde, die höher sind als diese Lagerstätte, und das sah man auch. Es hatte den Anschein, daß wir bis nach Tibet sehen konnten. Nun sieht Tibet hauptsächlich aus wie ein gefriergetrocknetes Nevada, doch von unserer Höhe aus bestand es aus einer schneebedeckten Gipfelkette nach der anderen, auf ewig Weiß auf Schwarz, alles von der Nachmittagssonne rötlich gefärbt. Die Welt schien nur noch aus Bergen zu bestehen.
    Freds ließ sich, noch immer mit einem iditotischen Grinsen auf dem Gesicht, neben mir auf den Boden fallen. Er hielt einen dampfenden Becher mit heißer Zitrone in der einen Hand, seine Haschpfeife in der anderen, und sang »›What a looong, stränge trip it's been.‹« Er nahm einen Zug aus der Pfeife und gab sie mir.
    »Bist du sicher, daß wir hier oben rauchen sollten?«
    »Klar, das hilft dir beim Atmen.«
    »Jetzt hör' aber auf.«
    »Nein, wirklich. Das Nervenzentrum, das deine unwillkürliche Atmung regelt, arbeitet nicht mehr, wenn es kein Kohlendioxyd gibt. Und hier oben gibt es kaum welches, aber der Rauch verschafft es dir.«
    Ich kam zum Schluß, seinem Beispiel aus medizinischen Gründen lieber zu folgen. Wir reichten die Pfeife hin und her. Hinter uns saß Laure im Zelt, summte etwas vor sich hin und holte seinen Schlafsack hervor. Kunga Norbu saß im Lotussitz auf der anderen Seite des Zeltes und befaßte sich mit seinen eigenen Reichen. Die Welt, alle Berge, gingen unter der Sonne unter.
    Freds atmete glücklich aus. »Das muß der schönste Ort auf Erden sein, meinst du nicht auch?«
    Das ist das Gefühl, von dem ich gesprochen habe.

12

    Wir konnten den Ort eine lange und rastlose Nacht genießen, denn es ist verteufelt schwer, in solch einer Höhe zu schlafen. Die Müdigkeit scheint aus dem geistigen Repetoire herausgefallen zu sein, und wenn sie sich dann doch einmal einstellt, fällt man in das, was man die Cheyne-Stokes-Atmung nennt. Der Körper läßt sich ständig narren, wieviel Sauerstoff er bekommt, und so hyperventiliert man eine Weile und hört dann bis zu jeweils einer Minute ganz zu atmen auf. Das ist kein beruhigendes Muster, wenn es einen schlafenden Menschen überkommen hat, der neben einem liegt; Freds fiel zum Beispiel wirklich hinein, und ich lag die ganze Zeit während seiner wirklich langen Schweigephasen völlig wach und machte mir Sorgen, daß er gestorben sein könnte. Er hatte anscheinend die gleichen Befürchtungen bei mir, jedoch nicht meine Geduld, und wenn ich wirklich einmal einschlief, riß Freds mich normalerweise wieder ins Bewußtsein zurück, indem er mich am Arm zerrte und sagte: »George, verdammt, atme! Atme!«
    Doch der nächste Tag dämmerte wieder klar und windstill herauf, und nach dem Frühstück marschierten wir am Schwarzen Ring entlang.
    Unsere Route war ungewöhnlich, vielleicht sogar einzigartig. Der Schwarze Ring, härter als die Felsschichten darüber und darunter, erhebt sich als brüchiger Wall aus der im allgemeinen glatten Felswand. Also hatten wir praktisch eine Art Straße, auf der wir gehen konnten. Obwohl sie uneben und aufgerissen war, erreichte sie stellenweise eine Breite von sechs Metern, und eine leichtere Stelle für eine Überquerung konnte man sich nicht vorstellen. Hier hätten sich zahlreiche Lagerstätten geboten.
    Natürlich ist man normalerweise, wenn man sich achttausendvierhundert Meter hoch auf dem Everest befindet, daran interessiert, ziemlich schnell entweder höher oder tiefer zu gelangen. Da dieser Wall eben verlief und auch keinerlei Route folgte, wurde er nicht häufig begangen. Da Freds sagte, daß Kunga Norbu nur von oben auf ihn hinabgesehen hatte, waren wir vielleicht die ersten überhaupt, die ihm folgten.
    Also wanderten wir diesen Hochweg entlang und machten uns auf die Suche. Freds stieß einen Felsbrocken vom Rand hinab, und wir beobachteten, wie er in den Rongbuk-Gletscher stürzte, bis er unsichtbar wurde, wenngleich wir ihn noch hören konnten. Danach trotteten wir etwas vorsichtiger weiter. Dennoch hatten wir den Grat ziemlich schnell überquert und schauten dann die gewaltige, glatte Rinne der Großen Schlucht hinab. Hier endete der Ring, und der weitere Aufstieg zur berühmten Nordwand, an der man Mallory und Irvine zum letzten Mal gesehen hatte, wäre ein häßliches Stück Arbeit gewesen. Außerdem hatte Kunga Norbu die Leiche gar nicht an dieser Stelle gesehen.
    »Wir müssen sie

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